Liebeslyrik ausländischer Dichterinnen

von der Antike bis zum 20. Jahrhundert
(in deutscher Übersetzung)

 


Sappho

(630-612 v. Chr. - um 570 v. Chr.)

griechische Dichterin
 

Hymne an Aphrodite

Die du thronst auf Blumen, o schaumgebor'ne
Tochter Zeus, listspinnende, hör' mich rufen,
Nicht in Schmach und bittrer Qual, o Göttin,
Laß mich erliegen!

Sondern huldvoll neige dich mir, wenn jemals
Du mein Flehn willfährigen Ohrs vernommen,
Wenn du je, zur Hülfe bereit, des Vaters
Halle verlassen.

Raschen Flugs auf goldnem Wagen zog dich
Durch die Luft dein Taubengespann und abwärts
Floß von ihm der Fittige Schatten dunkelnd
Ueber den Erdgrund.

So dem Blitz gleich stiegest du herab und fragtest,
Sel'ge, mit unsterblichem Antlitz lächelnd:
"Welch ein Gram verzehrt dir das Herz, warum doch
Riefst du mich, Sappho?

Was beklemmt mit sehnlicher Pein so stürmisch
Dir die Brust? Wen soll ich ins Netz dir schmeicheln?
Welchem Liebling schmelzen den Sinn? Wer wagt es
Deiner zu spotten?

Flieht er: wohl, so soll er dich bald verfolgen,
Wehrt er stolz die Gabe, so soll er geben,
Liebt er nicht: bald soll er für dich entbrennen,
Selbst ein Verschmähter."

Komm' denn, komm auch heute, den Gram zu lösen!
Was so heiß mein Busen ersehnt, o laß es
Mich empfahn, Holdselige, sei du selbst mir
Bundesgenossin!

Übersetzt von Emanuel Geibel (1815-1884)
Aus: Classisches Liederbuch
Griechen und Römer in deutscher Nachbildung von Emanuel Geibel
Berlin 1875 (S. 37-38)

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Liebeslied

Hochbeglückt wie selige Götter däucht mir
Wem dir tief ins Auge zu schau'n und lauschend
An dem Wohllaut deines Gespräches zu hangen
Täglich vergönnt ist,

Und am Sehnsucht weckenden Reiz des Mundes;
Doch mir schrickt im Busen das Herz zusammen,
Wem du nahst, beklommen versagt die Stimme
Jeglichen Laut mir.

Ach, der wortlos Starrenden rinnt urplötzlich
Durch die Glieder fliegende Glut; verworren
Flirrt es mir vor Augen und dumpf betäubend
Klingt es im Ohr mir. -
Übersetzt von Emanuel Geibel (1815-1884)

Aus: Classisches Liederbuch
Griechen und Römer in deutscher Nachbildung von Emanuel Geibel
Berlin 1875 (S. 39)

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An Aphrodite

Schönbethronte, ewige Aphrodite,
Tochter Zeus, listwebende, zu dir fleh' ich,
Nicht durch Kummer, nicht durch Schmerzen quäle,
Heh're, das Herz mir!

Sondern komm' herab, wenn du jemals huldreich
Nahtest, meine Stimme zu hören, (oftmals
Hörtest du) verlassend des Vaters Haus auf
Goldenem Wagen,

Den du dir bespanntest; dich zogen schöne
Schnelle Spatzen, über der schwarzen Erde
Rasch die Flügel schwingend, vom Himmel durch die
Mitte des Aethers;

Plötzlich dann enteileten sie, da, Göttinn,
Frugst du, hold mir lächelnd mit sel'gem Antlitz,
Was es wohl sei, so ich jetzt leide, weshalb
Wohl ich dich rufe;

Und was ich mir wünsche vor allen Dingen,
Wahnsinn hegend; welchen ich strebe, wieder
In dem Netz der Liebe zu fahen? "Sage
Sappho, wer kränkt dich?

Flieht er dich, so soll er dir eiligst folgen;
Nimmt er nicht Geschenk' an, er soll sie geben;
Küßt er nicht, so soll er sofort dich küssen,
Wolltest auch du nicht."

Darum komm auch jetzt und erlöse denn mich
Von dem schweren Grame, was zu vollenden
Sich mein Herz sehnt, wollst du vollenden; selber
Kämpfe du mit mir!

Übersetzt von Johann Friedrich Degen (1752-1836)

Aus: Anakreons und Sapphos Lieder
Nebst andern lyrischen Gedichten
Text und Übersetzung von Joh. Fried. Degen
Leipzig 1821 (S. 187-191)
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An eine Geliebte

Selig, gleich den Himmlischen, scheinet mir der
Mann zu sein, der gegen dir über sitzend
Deiner Stimme liebliche, nahe Töne
Trinket und deines

Lächelns Reize siehet, was mir erschüttert
Immer dieses Herz in dem Busen; denn so
Ich dich schaue, plötzlich die Stimme kehrt mir
Nicht mehr zurücke;

Sondern mir erstarret die Zunge, plötzlich
Läuft ein feines Feuer mir durch die Glieder,
Vor den Augen ist es mir dunkel, und dann mir
Gällen die Ohren;

Kalter Schweiß entrinnt mir, und ein Schauer
Ganz durchbebt mich, blasser als welke Blumen
Bin ich, und nur wenig noch fehlt, daß ich nicht
Athemlos sterbe. -

Übersetzt von Johann Friedrich Degen (1752-1836)

Aus: Anakreons und Sapphos Lieder
Nebst andern lyrischen Gedichten
Text und Übersetzung von Joh. Fried. Degen
Leipzig 1821 (S. 193-195)
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Thronumprangte, göttliche Kythereia,
Kind des Zeus, Listkundige, dich beschwör' ich,
Beuge nicht mit quälender Angst und Trauer,
Hehre, das Herz mir!

Nein, o komm, wenn je auch in and'ren Tagen
Meiner Inbrunst Ruf du gewahrend hörtest
Und die Wohnung deines Erzeugers lassend
Nieder auf goldnem

Wagen kamst anschwebend; - es zogen dann dich
Schöne munt're Spatzen zur schwarzen Erde,
Rasch den Fittig schwingend, vom Himmel mitten-
Hin durch den Äther.

Plötzlich waren hier sie, und du, o Sel'ge,
Fragtest lächelnd dann mit dem Himmelsantlitz,
Was gescheh'n  mir wäre, warum ich flehend
Her dich beriefe;

Was ich meinem feuerberauschten Herzen
Allermeist ersehnte. - "Wen nur wieder
Soll ich herzumstrickend dir fah'n? o wer nur
Kränkt dich, o Sappho?

Flieh't er dich: - bald soll er von selber folgen;
Schlägt er Gaben aus: - o er soll sie geben;
Liebt er nicht: bald soll er dich lieben; ob auch
Du es verschmäh'test." -

Komm zu mir auch jetzt und erlös' aus bangen
Sorgen mich, und welche Gewährung immer
Mir das Herz verlanget, gewähr' und selber
Leihe mir Beistand!

Übersetzt von Franz Wilhelm Richter

Aus: Sappho und Erinna
nach ihrem Leben beschrieben und in ihren poetischen
Überresten übersetzt und erklärt
von Professor Frz. W. Richter
Quedlinburg und Leipzig 1833
(S. 29-30)
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Göttern gleich scheint jener beglückte Mann mir,
Welcher dir entgegen vor Augen dasitzt
Und in deiner Nähe der Lippe süsses
Tönen dir ablauscht,

Und das Lächeln schauet der Liebesanmuth.
Mir bewegt dies wogend das Herz im Busen;
Denn erscheinst vor Augen mir du, so stockt gleich
Jeglicher Laut mir.

Ja gelähmt erstarret die Zung', und leises
Feuer rinnt dann über die Haut mir plötzlich;
Nacht umhüllt fortan das Gesicht, und gellend
Klingen die Ohren;

Kalter Schweiss entträufelt der Stirn, und Zittern
Fasst mich ganz, und falber, denn Gras, erblass' ich,
Und der Nacht des Todes nur wenig fern noch
Schein' ich [o Atthis.]

Übersetzt von Franz Wilhelm Richter

Aus: Sappho und Erinna
nach ihrem Leben beschrieben und in ihren poetischen
Überresten übersetzt und erklärt
von Professor Frz. W. Richter
Quedlinburg und Leipzig 1833
(S. 31)
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Eros quält mich von neuem mit Allgewalt,
Mit süssbitterem Zauber, der Wütherich;
Atthis, aber o du bist im Herzen mir
Fremd und kalt; zu Andromeda flatterst du.

Übersetzt von Franz Wilhelm Richter

Aus: Sappho und Erinna
nach ihrem Leben beschrieben und in ihren poetischen
Überresten übersetzt und erklärt
von Professor Frz. W. Richter
Quedlinburg und Leipzig 1833
(S. 37)
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Der Mond und die Siebensterne
Sind unter; um Mitternacht ist's;
Vorüber ist nun das Stündlein,
Und Ich bin allein gelagert.

Übersetzt von Franz Wilhelm Richter

Aus: Sappho und Erinna
nach ihrem Leben beschrieben und in ihren poetischen
Überresten übersetzt und erklärt
von Professor Frz. W. Richter
Quedlinburg und Leipzig 1833
(S. 41)
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Eros erschüttert bebend die Seele mir,
Wie im Gebirge der Sturm, der auf Eichen stürzt.

Übersetzt von Franz Wilhelm Richter

Aus: Sappho und Erinna
nach ihrem Leben beschrieben und in ihren poetischen
Überresten übersetzt und erklärt
von Professor Frz. W. Richter
Quedlinburg und Leipzig 1833
(S. 43)
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Göttin, herrlich thronende, meergeborne
Tochter Zeus, Trug spinnende, sieh', ich flehe,
Lass in Liebesnöthen mein Herz, du hehre,
Nimmer verschmachten;

Sondern steig' herab, wie in andern Tagen,
Wann du fernher meinem Gebet dich neigend
Zu mir tratest: aus dem Palast des Vaters
Schwebtest du nieder,

Lenktest vor dem goldenen Wagen selber
Deine Vöglein, welche des Aethers Räume
Schnell durchschwirrend her zu der Erde Nacht die
Fittiche senkten.

O, wie bald erschienen sie stets! Du aber,
Holdes Lächeln auf dem verklärten Antlitz,
Fragtest, was ich wieder gelitten, weshalb
Wieder ich riefe;

Was so stark mir wieder die leicht entflammte
Schwärmerei im Busen erwecke: "welches
Mädchen willst du wieder gewinnen? wer, o
Sappho, verschmäht dich?

Flieht sie deine Nähe? Sie soll sie suchen.
Lacht sie deiner Gaben? Sie soll sie bieten.
Spottet sie der Liebe? Sie soll sie fühlen,
Wie sie auch streite."

Nahe mir auch heut und erlös' aus schwerem
Leide mich, und welches Gebets Erfüllung
Jetzt mein Herz ersehnt, o erfüll' es; selber
Leiste mir Beistand.

Übersetzt von Theodor Kock (1820-1901)

Aus: Alkäos und Sappho von Theodor Kock
Berlin 1892 (S. 47-48)
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Gleich den Göttern selig erscheint der Mann mir,
Dem dir Aug' in Auge zu schau'n vergönnt ist,
Der an deiner Seite der trauten Stimme
Lieblichen Wohllaut

Schlürfen, deinem reizenden Lachen lauschen
Darf; das macht im Busen das Herz mir beben.
Denn sobald mein Auge dich schaut, versagt mir
Jeder Gedanke;

Gleich ist mir die Zunge gelähmt, und heiße
Fieberglut durchbrauset die vollen Adern;
Vor den Augen dunkelt der Tag; ein Sausen
Dröhnt in den Ohren;

Kalter Schweiß entrieselt der Haut; ein Frösteln
Schüttelt mir die Glieder; es welkt der Wange
Frischer Schmelz dahin wie das Gras: in Todes-
Grauen verschmacht' ich.

Dennoch, Atthis, will ich ja gern des Schicksals
Härte still erdulden, sogar des trüben
Alters Einsamkeit, wenn die Götter dir nur
Segen verleihen.

Übersetzt von Theodor Kock (1820-1901)

Aus: Alkäos und Sappho von Theodor Kock
Berlin 1892 (S. 49)
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Erste Ode
An Aphrodita


Vielgewandte, ewige Aphrodita!
Tochter Zeus, Trugwebende, zu dir fleh' ich,
nicht mit Gram mir, nicht mir mit Kummer, bänd'ge,
Göttin, die Seele.

Sondern komm hieher, wenn du einmal schon
meine Stimme - welcher du oft gehorchet -
hörtest, und verlassend das Haus des Vaters
kamst, dir den goldnen

Wagen schirrend; aber dich zog der schöne
schnelle Sperlingszug, ob der dunklen Erde
rasch die Flügel schwingend, vom Himmel durch die
Mitte des Aethers.

Stracks nun kam er; und - du o seel'ge Göttin
lieblich lächelnd mir von dem Götterantlitz
fragtest, was ich litt' und wozu ich jetzo
flehete Beistand?

Was zumeist vollbracht ich im Seelen-Wahnsinn
wünscht' und wess bestrickende Minne wieder
mir zu überreden ich strebte, - wer o
Sappho dich kränke?

"Denn entflieht er, soll er dich schnell verfolgen,
nimmt er nicht Geschenke, so soll er schenken,
küßt er dich nicht, soll er dich küssen, schnell wenn
selbst du nicht wolltest."

O so komm auch jetzt mir und hilf von schwerem
Harm, und was erfüllet mein Herz sich sehnet,
das erfüll', o Göttin" du aber sei selbst
Waffengenossin.

Übersetzt von Ernst Anton Ludwig Möbius (1779-1838)

Aus: Saphho's Oden griechisch und deutsch
mit erklärenden Anmerkungen
von Anton Möbius
Hannover 1815 (S. 21-23)
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Zweite Ode
An ein geliebtes Mädchen

Göttern gleich dünkt - seelig wie Götter sich der
Mann zu seyn, der gegen dir über dasitzt,
und in deiner Nähe der süssen Stimme
Zaubergespräch lauscht,

und des Lachend Wonnegetön, das jetzo
traun! das Herz mir tief in der Brust erschüttert,
denn erblick' ich dich, so erstirbt des Mund's gleich
jeglicher Ton mir.

Nein, die Zung ist dann mir gelähmt, ein zartes
Feuer rollt schnell unter der Haut herum mir,
mit den Augen seh' ich nicht, und es klingen
dumpf mir die Ohren.

Kalter Angstschweiß rinnet herab, es rafft mich
Beben ganz dahin, und erbleicht wie Spätgras
bin ich; kaum noch weht mir der Athem und ich
scheine zu sterben.

Übersetzt von Ernst Anton Ludwig Möbius (1779-1838)

Aus: Saphho's Oden griechisch und deutsch
mit erklärenden Anmerkungen
von Anton Möbius
Hannover 1815 (S. 25)
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Verschmähte Liebe

Buntbethronte himmlische Aphrodita,
Tochter Zeus', Trugspinnerin, zu dir fleh' ich,
Laß dem Unmut, lasse dem Gram mein Herz nicht,
Göttin, erliegen!

Sondern komm hieher, wenn du sonst auch jemals,
Meines Anrufs Stimme vernehmend, fernher
Hörtest, und, den goldnen Palast des Vaters
Lassend, herabkamst,

Im geschirrten Wagen; dich fuhr der schöne
Schnelle Sperlingszug um die weite Erde,
Dicht die Flügel schwingend, vom Himmel mitten
Hin in dem Aether.

Und sie kamen eilig, und du, o Sel'ge,
Lächelnd mit unsterblichem Angesichte,
Fragtest, was ich wieder erlitten, was ich
Wieder dich rufe;

Was ich im wahnsinnigen Mut vornehmlich
Will gewährt sehn. "Wessen begehrst du wieder,
Den dir Peitho führe zur Liebe? Wer, o
Sappho, wer kränkt dich?

Siehe, wenn er flieht, wird er bald verfolgen,
Wenn er sonst Geschenke nicht nahm, sie geben,
Wenn er nicht geküßt, wird er bald dich küssen,
Wolltest du selbst nicht."

Komm auch jetzo zu mir und lös' aus schweren
Sorgen mich, nach wessen Erfüllung aber
Sich das Herz mir sehnt, das erfüll', und selber
Hilf mir im Kampfe!

Übersetzt von Georg Thudichum (1794-1873)

Aus: Die griechischen Lyriker
oder Elegiker, Jambographen und Meliker
Ausgewählte Proben der Urschrift übersetzt
und durch Einleitungen und Anmerkungen
von Dr. G. Thudichum
Stuttgart 1859 (S. 381-382)
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Eifersüchtige Liebe

Es scheint mir himmlischen Göttern ähnlich
Jener Mann dort, welcher dir gegenüber
Sitzen darf, und nahe den Ton der süßen
Stimme vernehmen;

Und das sehnsuchtweckende Lachen, das mir
Ha im Busen ängstlich das Herz erreget;
Wenn ich dich nur sehe, so geht der Ton mir
Nicht aus der Kehle;

Denn die Zung' auch ist mir gelähmt, und dünnes
Feuer läuft mir unter der Haut alsbald hin;
Mit den Augen seh' ich nicht mehr, und summend
Brausen die Ohren.

Kalter Schweiß rinnt von mir herab, ein Zittern
Ganz ergreift mich, blasser als falbes Gras auch
Bin ich, und ein Weniges noch zum Sterben
Scheint mir zu fehlen.

Doch ich trag' es Alles.

Übersetzt von Georg Thudichum (1794-1873)

Aus: Die griechischen Lyriker
oder Elegiker, Jambographen und Meliker
Ausgewählte Proben der Urschrift übersetzt
und durch Einleitungen und Anmerkungen
von Dr. G. Thudichum
Stuttgart 1859 (S. 382)
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Seufzer

Der Mond ist hinabgesunken,
Das Siebengestirn, und Mitter-
Nacht ist's, es vergeht die Stunde,
Ich aber, ich schlaf' alleine.

Übersetzt von Georg Thudichum (1794-1873)

Aus: Die griechischen Lyriker
oder Elegiker, Jambographen und Meliker
Ausgewählte Proben der Urschrift übersetzt
und durch Einleitungen und Anmerkungen
von Dr. G. Thudichum
Stuttgart 1859 (S. 387)
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Biographisches:

siehe: http://de.wikipedia.org/wiki/Sappho


 


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