Liebeslyrik ausländischer Dichterinnen

von der Antike bis zum 20. Jahrhundert
(in deutscher Übersetzung)

 

Gaspara Stampa   
(1523-1554)

italienische Dichterin


Was ist Liebe?

O Mädchen, das du von den bösen Schlingen
Der argen Liebe jetzund frei noch bist,
In denen ich mein Leben muß verbringen:
Willst du erfahren, was die Liebe ist,
Die alle Welt zum Herrscher sich erkoren -
Nicht heut erst, nein, zu jeder Zeit und Frist -:
Es ist ein heiß Verlangen, traumverloren,
Nach trügerischen Schatten ist's ein Sehnen,
Ein Selbstbetrug, ein: Besser nie geboren.
Indes die Stunden endlos hin sich dehnen,
Sucht man sein eigen Leid nur zu erreichen;
Und hat man es, so weint man bitt're Tränen.
Ein Leben voller Schmerzen ohne gleichen,
Beschwert mit Zweifel und mit Eifersucht,
Die nimmer von der Seele wollen weichen.
Je eifriger man sich zu lösen sucht,
Je fester nur das Netz um uns sich schlingt.
Je eifriger man sät, je wen'ger Frucht.
Der Sorge scharfes Schwert das Herz durchdringt,
Indes man Ruh' und Glück in diesen Schlund
Hinwirft, und sich um jede Freude bringt.
Es ist ein ewig Sterben ohne Grund,
Man glüht von einem brünstigen Verlangen,
Man ist betrübt; warum, tut keiner kund.
Man hebt die Schleier, die vor'm Herzen hangen,
Man wankt umher, gleich Unterweltsgestalten,
Und merkt es nicht, daß man vom Wahn befangen.
Dem Liebsten fern, ist uns das Herz gespalten;
Ihm nah, ist man ihm völlig untergeben;
Man kann die Füße nimmer stille halten.
Zuwider ist uns oft das eigne Leben,
Wir lieben mehr als uns'res das des Herrn.
Heut sind wir froh, um morgen bang zu beben.
Nichts mag man mehr, hat man's sonst noch so gern;
Man flieht der Menschen Umgang, selbst der Lieben;
Man ist dem Liebsten nah, sich selber fern.
Wir grübeln, ob uns Hoffnung noch geblieben;
Wir pflegen schöne Schlösser zu erbauen,
Und sehen sie im Winde bald zerstieben.
Kein Schlaf will uns Erquickung niedertauen;
Und können wir einmal das Auge schließen,
So läßt ein Traum uns Unerwünschtes schauen.
Man leidet, kann das Leben nicht genießen,
Und kann sich ob der Ursach nicht beklagen.
So will uns schließlich unser Selbst verdrießen.
Wir seh'n, wohin uns auch die Füße tragen,
Vor Augen stets ein einzig Angesicht:
So sehr man's wünscht, man kann ihm nicht entsagen.
Kurz, Liebe ist ein Dolch, der heilt und sticht.

Übersetzt von Wilhelm Rudow (1858-1897?)

Aus: Bruno Wille Die Weltdichter fremder Zungen
und Schätze aus ihren Werken in deutscher Nachdichtung
Von den Veden bis Tolstoi Zwei Bände
Märkische Verlagsanstalt Berlin W. 1912
(Band 1 S. 25-26)
_____

 

Biographisches:

siehe: http://de.wikipedia.org/wiki/Gaspara_Stampa


Literaturhinweise:

  • Gaspara Stampa Dichtungen. Ausgewählt und übertragen von Leo Graf Lanckoronski und mit einem Nachwort versehen von Maria Gräfin Lanckoronska. Georg Kurt Schauer Verlag Frankfurt am Main 1947 [Leo Graf Lanckoronski 1884-1967]
    (darin 83 Liebesgedichte)
     

  • Zehn italienische Lyrikerinnen der Renaissance.
    Herausgegeben von Emanuela Scarpa.
    Übersetzt von Gio Batta Buciol und Irmgard B. Perfahl
    unter Mitwirkung von Helga Böhmer
    Italienische Bibliothek NARR Verlag 1997
    (darin 5 Liebesgedichte von Gaspara Stampa)
     

 

 

 


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