Liebeslyrik ausländischer Dichterinnen

von der Antike bis zum 20. Jahrhundert
(in deutscher Übersetzung)


 

Jewgenia Alexandrowna Tschebyschewa-Dmitrijewna   
(1859-?)

russische Dichterin

 

An eine Freundin

Wenn dich das Los nicht beglücken mehr kann,
wenn du dich willst seiner Kosung erwehren,
wenn nach Beleidigung steht dein Begehren -
lieb einen Mann!

Wenn dich dein Frieden bedrückt wie ein Bann,
wenn dich verlangt nach unstillbarem Sehnen,
wenn du nach Küssen vergießen willst Tränen -
lieb einen Mann!

Wenn dich die Freiheit bedünkt ein Tyrann,
wenn du nicht länger willst brauchen die Flügel,
wenn deine Seele will Bande und Zügel -
lieb einen Mann! (S. 34)

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Mich schreckt das Dunkel und das Licht,
des Gleichmuts Frost, der Liebe Feuer.
Geheimnisvoll weist sein Gesicht
des Tods und Lebens Ungeheuer.

Des Schlags gewärtig, todgeweiht,
steh ich an der Verzweiflung Rande …
Ist's tief in mir, ist's draußen weit,
daß Sturm geläutet wird beim Brande? (S. 34)

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Heiß ersehnte die Mitternacht ich,
ohne Kraft, der Erinnerung müde.
Nur nach Ruhe verlangte es mich -
doch nicht nahte der Schlaf meinem Lide.

Schlaflos wälzte mein Leib sich herum
und mein Geist ward von Zweifeln zerrissen …
Was erharrte, erflehte ich stumm?
Wollte sterben ich? Wollte ich küssen? (S. 35)

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Greller Mittag. Glühe Lüfte.
Schwüle draußen, Schwüle hier.
Süß betäubendes Gedüfte …
Und du bist allein mit mir!

Liebe jubelt hellen Blickes,
jauchzt als glutige Begier.
Überschäumt der Kelch des Glückes -
denn du bist allein mit mir!

Plötzlich – Blitz und Donnerkrachen,
Nacht und Tod im Lustrevier -
doch mich kann's nicht bange machen:
denn du bist allein mit mir!

Sieh nur, durch die Wolkenrisse
blaut der Himmel als Saphir …
Glanz und Glück und Glut und Küsse -
denn du bist allein mit mir! (S. 35)

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Erkaltet, Erde, ist die Schwüle deiner Luft
und rinnt in seinen Schleierschichten,
die gleitend ziehn dahin im bleichen Mondesduft
gleich einer Schar von Nachtgesichten.

Erkaltet, Seele, ist die Glut der Leidenschaft,
die nur geweiht war dem Verzichten.
Aus deiner Tiefe nur funkt's auf mit letzter Kraft
gleich einer Schar von Traumgesichten. (S. 35)

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Rings Finsternis. Sie hüllt in Nacht das All.
Die Ferne starrt in einem grauen Schauer.
Die Welt versinkt in einem Nebelschwall,
gleichwie das Herz in hilflos öder Trauer.

Rings Schmutz. Auf Straßen Schmutz und in der Brust,
In deinem Blick und der Erinnrung Mahnen.
Die Welt erstickt schier in des Schmutzes Wust,
gleichwie das Herz in schändendem Erahnen. (S. 36)

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Biographie:

wurde als Tochter des Kriminalisten Prof. Alexander Pawlowitsch Tschebyschew-Dmitrijew am 1. November / 20. Oktober 1859 in Jaroslawlj geboren. Sie besuchte das Marien-Gymnasium in Petersburg und darauf die Pädagogischen Kurse daselbst. Zu schriftstellern begann sie 1884. Fünf Jahre war sie in Moskau pädagogisch tätig. Seit 1889 wirkt sie als Lehrerin an einer Petersburger Stadtschule. Hielt 1896 und 1900 in Berlin und Paris Vorträge über die Frauenfrage in Rußland. Sie ist Begründerin, Vorsitzende und Sekretärin verschiedener Volkswohlvereine in Petersburg. -
Außer einer Reihe pädagogischer Schriften, veröffentlichte Jewgenia Alexandrowna auch Novellen und Erzählungen für die Jugend.

 

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  In der Übersetzung von Friedrich Fiedler (1859-1917)
 

Gedichte und Biographie aus: Russische Dichterinnen. Ausgewählte Dichtungen übertragen und mit biographischen Notizen versehen von Friedrich Fiedler.
Leipzig Verlag von Philipp Reclam jun. 1907
 


 

 


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