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Olga
Nikolajewna Tschumina
(1858-1909)
russische Dichterin
Herbst-Serenade
Es blaßt der Tag, es braut die Nacht,
Gewölk hüllt alles ein,
und finstrer wird der Schatten Macht -
und glühender die Pein.
Doch trägt zum Land des Glücks von hier
ein holder Wahn mich fort,
und mich bedünkt: es flüstert mir
dein Mund der Liebe Wort.
Es flieht die Nacht, es naht der Tag,
nur du, nur du kommst nicht -
und mich bedünkt: im Wetterschlag
erlosch das Tageslicht …
Im Graus der Nacht, im Sonnenschein
im Kampf und Weltgewühl
mein Licht, mein Glück bist du allein
und meines Lebens Ziel. (S. 43)
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Spotte nicht meines Liedes, des bangen,
das vom Glück unsrer Liebe nicht spricht!
Wer von endloser Nacht war umfangen,
traut den Augen beim Morgenglanz nicht.
Wenn sich plötzlich mit Dröhnen und Klirren
des Gefängnisses Pforte erschließt -
schließt den Blick der Gefangne beim Flirren,
das der Sonnenstrahl blendend verschließt.
Selig fühlt er den Herzensschlag stocken,
wie berauscht und verzückt schaut er drein -
doch aus seinem Gejauchz und Frohlocken
tönt als Echo die seelische Pein …
Drum nicht spotte des Liedes, des bangen,
das die Seele mir singt, wenn den Blick,
den das Dunkel der Nacht hielt umfangen,
nun als Sonne mir blendet das Glück! (S. 43)
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Gedenkst du der sternlosen Stunde?
Wir standen am brandenden Schlunde;
der Nebel hielt alles umzogen,
es klagten und schluchzten die Wogen.
Gedenkst du der mondlosen Stunde?
Wir schieden mit schweigendem Munde
vom traumhaften Hoffen und Sehnen,
und schauten uns an unter Tränen.
Es klang uns so sehnlich, so bange
empor aus dem Wogengesange
ein Aufruf zu reulosem Glücke,
ein Abschied von treulosem Glücke.
Es rauschten die Wogen von dannen,
beklagt von dem Echo der Tannen.
Wir einzig, wir litten und schwiegen
und wollten dem Jammer erliegen.
In sternloser, mondloser Stunde -
da ward keinem Menschenohr Kunde,
was tief wir im Herzen verhehlten,
dem stummen, gebrochnen, entseelten. (S. 44)
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Im Augenblick, da unserm Herzen
wird weh getan von fremder Hand,
wo uns Verleumdungen verschwärzen
und allerseits der Fluch uns bannt -
dann, mit Verachtung in dem Blicke,
begegnen wir dem Bösewicht,
entlarven seine niedre Tücke
und halten über ihn Gericht.
Doch wenn das tiefste Herz uns blutet,
getroffen von der Liebe Hand,
und unsre ganze Seele glutet
enttäuscht, gekränkt, beschämt, verkannt -
dann kann kein Wort die Lippe sagen,
dann starrt der Blick, dann sinkt der Arm,
und einsam dulden ohne Klagen
wir der beschimpften Liebe Harm. (S. 44-45)
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Es birgt sich eine Saite schwach und krank
in jeder Brust. Berühr sie unvorsichtig -
und alsofort wird tönen dir ein Klang
sehnsüchtig weh und trostlos eifersüchtig:
Ein lichtes Bild taucht aus der Nebelschicht
der fernen Zeit hervor voll Glück und Elend -
und aus den unvernarbten Wunden bricht
ein Blutstrom rot und heiß, unsagbar quälend. (S. 45)
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Im Herbst
Trüber Tag. Fern überm starren Walde
mit dem letzten gelben Laubgefetz
hängt der Regen nieder bis zur Halde
wie ein endlos graues Nebelnetz.
Hinterm Fenster, nimmermüd, durch Stunden,
weint der Herbstwind wie ein krankes Kind.
Klagt er um das Glück, das hingeschwunden,
und das jäh als Zaubertraum zerrinnt?
Gilt dem Frühlingsklang- und Licht sein Sehnen,
gilt des Sommers Glut und Duft sein Leid? …
Stumm bei seines Schluchzens kalten Tränen
füllt das Herz sich mir mit Traurigkeit.
Bei des Herbstes Stöhnen und Gewimmer,
endlos lang im starren Nebelgrau,
sehn ich mich nach blauem Ätherschimmer,
wie die Blume dürstet nach dem Tau.
Ich verschmacht nach warmem Windesfächeln,
nach der Sonne lichtem Lebensgruß -
wie nach vielgeküßter Lippen Lächeln
und nach vielgeliebter Blicke Kuß. (S. 47-48)
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Ein lichter Augenblick gleicht einem schönem Traume,
der schon bei seinem Nahn eilt spurlos zu vergehn;
er gleicht dem Schattenspiel, im Wein dem Perlenschaume
und nie gehorsamt er des ehrnen Wortes Zaume:
"Halt! Bleibe stehn!"
Wenn endlich hat erreicht sein Endziel unser Streben
und auf die Unrast folgt des Friedens Seligkeit -
da muß schon unser Herz in der Erkenntnis beben:
"Das Glück ist hin! Es leiht ihm nur Erinnrung Leben
für kurze Zeit!"
Noch ist der Liebe Wort im Lufthauch nicht zerronnen -
kommt das Bedauern schon geflogen pfeilgeschwind,
und Schatten halten trüb die lichte Lust umsponnen
bei dem Bewußtsein, daß zur Hälfte schon die Wonnen
durchkostet sind.
Und doch, gleich Kindern, die des Märchens Schluß begehren,
verlangen nach dem Gift der Freude wir voll Gier;
wir eilen unbewußt, des Bechers Rest zu leeren,
und im Gedenken nur des Glücks, das wir entbehren,
noch leben wir! (S. 49)
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Laß gehn uns unbekümmert
fern von der Menschen Straße -
wo silbern aus dem Grase
das Maienglöckchen schimmert!
Laß pflücken uns ein Weilchen
in seligem Geträume:
du – wundersüße Reime,
ich – wunderblaue Veilchen.
Zu einer Blütenkette
werd ich die Veilchen winden,
du – wirst die Reime binden
zu klingendem Sonette.
So, bei dem Lenzgruß minnig
im Glanze bunter Lichter -
wirst werden du mein Dichter,
und – deine Muse bin ich! (S. 49-50)
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Biographie:
wurde am 7. Januar / 26. Dezember 1864 in Nowgorod als Tochter eines
Militärs (tatarischen Ursprungs) geboren. Ihre Bildung erhielt sie zu
Hause und heiratete 1886 den Kapitän Gawriil Petrowitsch Michajlow. Sie
wurde zweimal von der russischen Akademie der Wissenschaften für ihre
literarischen Arbeiten (mit denen sie zuerst 1883 in die Öffentlichkeit
trat) durch Prämien ausgezeichnet. Übersetzerin aus
Shakespeare, Byron, Bourget, Musset, Hugo, Tennyson, Milton, Longfellow,
Petöfi. Verfasserin mehrerer Original-Dramen. Veröffentlichte
unter dem Pseudonym "Optimist" und "Boy-Kott" viele politisch-satirische
Vers-Feuilletons.
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In der Übersetzung von
Friedrich Fiedler (1859-1917)
Gedichte
und Biographie aus: Russische Dichterinnen. Ausgewählte Dichtungen
übertragen und mit biographischen Notizen versehen von Friedrich
Fiedler.
Leipzig Verlag von Philipp Reclam jun. 1907
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