Liebeslyrik ausländischer Dichterinnen

von der Antike bis zum 20. Jahrhundert
(in deutscher Übersetzung)

 


Maria de Ventadorn
(nach 1200)

provenzalische Dichterin (Trobairitz)


  [Frau Maria de Ventadorn und Herr Gui d'Uisel]

Gui d'Uisel, sehr thut ihr mir leid,
Ablaßen vom Gesang wollt ihr?
Seid nochmals denn gemahnt von mir,
Da ihr so voll des Geistes seid!
Sagt, steht zum Freund, wenn seine Bitt' er spricht
Freimütig aus, ein Weib in gleicher Pflicht,
Wie er zu ihr nach jenem Recht, das zwein
Verliebten Leuten muß verbindlich sein?

O Frau Maria, fern und weit
Lag Lied schon und Tenzone nur;
Doch ist es anders nun, da ihr
Zu mahnen mich so gütig seid.
Das Weib, da ihr mich fragt, ich hehl' es nicht,
Hat für den Trauten ganz dieselbe Pflicht,
Und Reichthum, Ehr' und Stand, all' Aeußres, klein
Muß es von Liebenden geachtet sein.

Gui, von der Herrin Gnädig
Abhängt doch, denk' ich, Alles hier:
Und obliegt auch Gewährung ihr,
Muß sie doch achten auf die Zeit.
Was sie zu ihm als Bitt' und Auftrag spricht,
Abschlagen darf's der Freund der Freundin nicht.
Gedenk muß sie auch seiner Ehre sein:
Dem Freund zwar, nicht dem Herrn wird sie sich weihn.

Von Lieb' um Lieb', o Dame, seid
Also berichtet auch von mir:
Gleich starke Liebe dort und hier
Verlangt ja gleiche Pflichtigkeit,
Und daß an Zartheit sie nachstehe nicht
In Allem, was sie thut und was sie spricht;
Und sollt' er gegen sie falsch, treulos sein,
Versteh' sie wohl zu bergen Schmerz und Pein.

Gui d'Uisel, in der ersten Zeit
Sind vor dergleichen sicher wir.
Die Hände faltend knieet ihr,
Wenn ihr nach etwas lüstern seid.
Wollt ihr vom Freund des Lehensmannes Pflicht,
Ihr Frauen? Traun, den Mann eracht' ich nicht
Für einen Ehrenmann, der unterm Schein
Des Freundes sich bequemt, ein Knecht zu sein.

O Frau, es wäre Schändlichkeit,
Misachteten die Frauen wir,
Und gäben gleiches Recht nicht ihr,
Die einem Mann ihr Herz geweiht.
Ihr Andern sagt, doch löblich ist es nicht,
Der Freund hab' euch zu lieben größre Pflicht;
Doch ihr, Frau, sagt, gleich müßen Beide sein,
Lieb' ist der Beiden Pflicht, und Lieb' allein.
(S. 303-305)


Übersetzt von Karl Ludwig Kannegießer (1781-1861)

Aus: Gedichte der Troubadours
im Versmaaß der Urschrift übersetzt
von Karl Ludwig Kannegießer
Zweite Auflage Tübingen 1855

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Razo (Erläuterung) zu diesem Gedicht:

"Wohl habt ihr über Frau Maria de Ventadorn gehört, wie sie die am höchsten geschätzte Dame war, die es je im Limousin gab, und jene, die am höchsten Gutes tat und sich am besten vor Bösem hütete. Und immer half ihr ihr Verstand und nie ließ sie Torheit eine Dummheit begehen. Und Gott hatte ihr einen unübertroffen schönen Körper geschenkt.
Gui d'Uisel hatte seine Dame verloren, wie ihr es in seinem Lied gehört habt, das anhebt:
Wenn Ihr, schlechte Herrin, mich auch verstoßt.
Deswegen lebte er in großem Schmerz und großer Traurigkeit. Und lange Zeit hatte er nicht mehr gesungen und gedichtet, was alle edlen Damen dieser Gegend sehr schmerzte und Frau Maria mehr als alle, weil Gui d'Uisel sie in allen seinen Liedern pries. Und der Graf de la Marcha, den man
Uc 'den Braunen' nannte, war ihr Ritter, und sie hatte ihm soviel Ehre und Liebe erwiesen, wie eine Dame es einem Ritter nur kann.
Und, eines Tages, als er mit ihr zusammen war, hatten sie ein Streitgespräch miteinander, denn der Graf de la Marcha sagte, daß jeder wahrhaft Liebende, da ihm seine Dame ihre Liebe geschenkt und ihn als Ritter und Freund auserwählt, so lange er ihr ergeben und treu ist, genausoviel Herrschaft und Macht über sie haben muß wie sie über ihn; und Frau Maria vertrat die Ansicht, der Freund dürfe weder Herrschaft noch Macht über sie haben. Herr Gui d'Uisel befand sich am Hof von Frau Maria; und sie - um ihn zu Liedern und Frohsinn zurückzubringen - dichtete eine cobla, in der sie ihn fragte, ob es sich ziemte, daß der Freund soviel Herrschaft über die Dame habe wie die Dame über ihn. Und zu dieser Frage forderte ihn Frau Maria zu einem Streitgespräch auf und sagte folgendes:"

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Mit Maria de Ventadorn tritt Gui d'Uissel nicht nur eine Trobairitz gegenüber, die zum limousinischen Hochadel gehört, sondern auch eine bedeutende Kennerin und Mäzenin der Trobadors. Bereits als junges Mädchen nahm sie die Huldigungen eines so bedeutenden Trobadors wie Bertran den Born entgegen. Ihr und ihren beiden Schwestern gelten die Verse:
"De tota beutat terrena
Ant pretz las tres Torena,
Fi-n essais."

Hinter den "tres Torena" verbergen sich die drei Töchter des Herren einer der vier Vizegrafschaften des Limousin, Limoges, Comborn, Ventadorn und Turenne, Raimons II. de Torena (*1143-1191) und seiner Frau Helis de Castelnau: Contors, seit etwa 1184 verheiratet mit Elias de Comborn, Helis, verheiratet mit Bernart de Casnac, Herr von Montfort, und Maria, zweite Frau des Vizegrafen Eble V. de Ventadorn. Maria heiratet damit in eine der Kunst des Trobar bereits seit ihren Anfängen verhaftete Familie ein (...) Das Paar macht, seit der Hochzeit gegen 1190 diesem Erbe alle Ehre. Eble V. betätigt sich als Mäzen, und Maria wird zu einer der meistbesungenen domnas in der Trobadorlyrik überhaupt (...) Bei Maria de Ventadorn gingen also viele Trobadors ein und aus, bei ihr laufen die Fäden zahlreicher Literaturbeziehungen zusammen, und es liegt auf der Hand, daß Maria einem regelrechten 'salon littéraire' vorstand, in dem auch der benachbarte Adel verkehrte. (...)

zitiert aus:
Angelica Rieger - Trobairitz
Der Beitrag der Frau in der altokzitanischen höfischen Lyrik
Edition des Gesamtkorpus
Max Niemeyer Verlag Tübingen 1991
 


 

 


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