|
Hedwig Dransfeld
(1871-1925)
Inhaltsverzeichnis der Gedichte:
Reifes Korn
Wenn die Felder erst in Blüte stehn,
Wo die Lerchen ihre Brut verstecken, -
O dann laß zum letzten Mal uns gehn
Zwischen Korn und wilden Weißdornhecken.
Laß uns wieder wie die Kinder sein,
Die noch sonnig in die Weite schauen
Und im wilden Gras am Straßenrain
Ihre goldenen Zukunftsschlösser bauen.
Julizeit! Wir schritten oft hinaus,
Wenn die Felder wie im Fieber glühten,
Und du pflücktest heimlich mir den Strauß
Von der Winde großen blassen Blüten.
Tausend sommerfrohe Märchen wob
Meine Seele um die kleine Spende,
Und das Kornfeld wie zum Segen hob
Ueber uns die feinen goldenen Hände.
Julizeit! Es stieg des Wetters Zorn, -
Doch du gingest, deine Frucht zu binden
Und du sorgtest um das reife Korn,
Und ich sorgte um die blassen Winden.
Nun umrauscht dich eine gelbe Flut,
Denn das Schicksal ist dir treu gewesen . . .
Doch ich kniee fern von dir wie Ruth,
Deine letzten Aehren aufzulesen.
(S. 17)
_____
Im Fichtenwald
Er reckte sich empor so herb und dunkel,
Ein Bild der Nacht im jungen Sonnenschein . . .
Nun brach der Abend frühlingsmild herein,
Und seine Küsse sind ein rot Gefunkel.
Der Himmel blüht - und seine Schleier fließen
Wie Purpurseide nieder durchs Gezweig - -
Ich seh' der Fichtenstämme knorrig Reich
In tausend Fackeln aus der Erde sprießen.
Die Waldestiefe goldig rot verhangen!
Und jede Knospe, jede Nadel flammt,
Und selbst das Moos wie roter Königssamt . . .
Im Netz von Farben ist der Wald gefangen.
So ward auch mir ein dunkles Los gegründet,
Und meine Seele wuchs in Nacht und Not,
Doch deine Liebe ist das Abendrot,
Das eine Welt von Purpur mir entzündet.
(S. 20)
_____
Weiße Nächte
I.
Wie mir die Sommernächte,
Die weißen, das Herz bezwingen!
Ich höre den Blütenstaub rieseln,
Ich höre den Mondschein klingen.
Es ist von weltenweiter
Sehnsucht das alte Lied,
Das wie eine lohende Flamme
Mir durch die Seele zieht.
Und rings ein Glühen und Blühen,
Ein Sprossen auf allen Hängen . . .
Die roten Rosen müssen
Bebend die Knospen sprengen.
Und das Gelock des Geisblatts
Glimmert in weißer Luft,
Und über die Fluren zittert
Der schwüle Lindenduft.
Und einen blauen Falter
Seh' ich im Silber schweben
Und in die Rosen taumeln,
Die wonnig schwanken und beben.
Das ist ein selig Treiben,
Ein Gären geheimer Kraft; -
In Halmen und Blättern hör' ich
Rauschen den Lebenssaft.
Ich möchte mit meinen Armen
In den silbernen Himmel greifen,
Den letzten Staub der Erde
Mir von der Seele streifen . . .
Ich möchte mich heben und schweben,
Gehalten von heiliger Macht -
Und jauchzend in dir zerfließen,
Du weiße Sommernacht!
II.
Ins tauige Gras,
Von glühender Sehnsucht ermattet -
Hinsinkt mir das Haupt,
Und das Auge, vom Lichte schwer,
Schließt sich - schönheitstrunken,
Dunkel umfängt mich . . .
Der blaue Falter nur
Auf der Netzhaut
Des geschlossenen Auges
Noch gaukelt er hin . . .
Nach Blüten lüstern,
Seh' ich ihn taumeln
Von Blüte zu Blüte.
Ihm neigen die Kelche
Sich brünstig entgegen . . .
Er hängt im Purpurgelock
Und trinkt - trinkt . . .
Leise in verhaltener Lust
Zittern die Flügel ihm,
Und in Wonne schauert
Von seinem Kusse die Rose . . .
Er aber trinkt
Und fällt zurück
- Ein blauer Stern -
In die duftschwere Luft
Und taumelt weiter . . .
So irrt meine Seele
Im Märchenwalde
Des nächtlichen Schlummers,
Sehnsucht atmend.
Im dunkeln Gezweig
Schwillt es - bebt - schillert
Gleich lebendiger Flamme:
Sommerträume,
Dem Baume des Schlummers entsprossen!
Und meine Seele
Hängt im Purpurgelock
Und trinkt - trinkt
Des Traumes Nebelwonnen
Unersättlich . . .
Goldene Bilder
Umblühen die Sehnende -
Die Erde weitet sich,
Der Himmel klafft, -
Und die nach einem einzigen Lichtstrahl
Sich durstend verzehrte,
Sieht der goldenen Spalte nun
Sonnenströme entquellen.
Sie aber trinkt
Und fällt zurück
- Ein blauer Stern -
In die duftschwere Luft
Und taumelt weiter . . .
III.
Und wenn die weiße Sommernacht
Im Dämmergrau zerquillt, verweht,
Hoch über uns des Mondes Pracht
Wie ein gebrochnes Auge steht:
Die Sterne leuchten blasser,
Es weht der Morgenwind . . .
Dann wie ein stäubend Wasser
Mir Bild auf Bild zerrinnt.
Im Osten zuckt ein purpurn Licht
Und blüht am Wolkensaum empor,
Und hell wie eine Klinge bricht
Es durch den weißen Nebelflor.
Die alten Linden dehnen
Verschlafen sich im Geleucht,
Und wie von heimlichen Tränen
Nun tropft es schwer und feucht.
Und auf den fahlen Wiesen schwimmt
Der Rauch und schleift den Bach entlang,
Und trüb wie ein Karfunkel glimmt
Die Sonne über'm Bergeshang.
Schon stäuben goldne Funken
Herab in kalter Pracht! -
Verrauscht, verweht, versunken
Die Wunder der weißen Nacht . . .
(S. 21-25)
_____
Im Park
Und wieder blüht es in allen Zweigen,
So schwer die Luft, und die Seele so leicht - -
Ich sehe den Duft aus der Erde steigen,
Ich sehe, wie Blüte zu Blüte sich neigt,
Und in der Ferne trillern die Geigen.
Und in der Ferne ein frohes Gedränge
Von jungen Paaren in wiegendem Tritt!
Und durch die sprossenden Laubengänge
Ein heimlich Säuseln: "Komm mit, komm mit!"
O Abend, o Blüten, o Geigenklänge!
Das sind die Nächte, wo Lieben und Hassen
Sich jauchzend umschlingen im ewigen All -
Du mußt in die blühenden Zweige fassen,
Du kühlst die Stirne am rauschenden Fall . . .
Es sieht dir ins Auge und will dich nicht lassen.
Es taumelt dir zu mit den Schmetterlingen,
Es schluchzt aus den Geigen, es atmet im Hain,
Es tönt wie ein fernes Läuten und Singen,
Es hüllt mit zitternden Händen dich ein -
Und deiner Seele wachsen die Schwingen.
Ich atme den Duft deiner sprossenden Glieder,
Ich seh deiner Augen flackerndes Licht -
Und schwerer und schwerer senkt es sich nieder . . .
O du - verkaufe die Seele nicht
Um eine Nacht voll Blumen und Lieder.
(S. 26)
_____
Chrysanthemum
Ueber den samtnen Teppich
Federt dein Tritt,
Dein Auge lacht
Sonnenfreudig
Wie draußen über den Beeten
Das schwüle Herbstlicht.
Nun beugst du dich nieder . . .
Dein heißer Atem
Streift meine Wange,
Ein leises Kichern
An meinem Ohr, -
Und mir im Schoße,
- Ein Strudel von Blütenblättern -
Liegt die Blume des Herbstes.
Wie Summen und Surren
Tanzender Mückenschwärme
Dein Flüstern nun:
"Chrysanthemum,
Märchenblume
Vom Lande der Blumen!
Siehst du sie -
Und schwimmt nicht dein Auge,
Dunkel vor Wonnen?
Sahst du Schöneres je?
Wildgezackte,
Bleichbläuliche Sterne
Schenkt uns der Herbst,
Daß wir leichter vergessen,
Einen Sommer der Lust . . ."
Ueber den samtnen Teppich
Federt dein Tritt.
Ich bin allein - -
Vom Fenster weht
Berauschender Ernteduft,
Lebensträchtig.
Und mit verlorenen Blicken
Muß ich dich anschaun,
Blume des Herbstes.
Die schlanken Blätter
Sehnsüchtig gekrümmt
Wie tönende Saiten!
Und deiner Farben
Lüstern begehrendes,
Schwüles Lila!
Die durstige Pracht
Der Fliederblüten!
Von Amethysten
Ein funkelndes Kelchglas,
Mit rötlichem Weine gefüllt! - -
Und fein geädert
Das schwüle Lila
In Purpurlinien,
Als kreiste lebendiges Blut
In toten Blättern! -
Als höben sich hundert
Sehnsüchtig gekrümmte,
Heiß verlangende Frauenhände
Nach einem Glück,
Das märchengroß -
Und falsch wie ein Märchen . . .
Ja, du bist schön,
Blume des Herbstes!
Ich atme tief . . .
Durch meine Seele
Gleitet ein Zittern,
Und meinem Sommer
Sag ich lächelnd Ade . . .
(S. 35-37)
_____
In den Binsen
Langsam und zaghaft folgt' ich dir nach
In die rauschenden Binsen . . .
Nickende Lilien standen am Bach
Zwischen den Wasserlinsen.
Und so sicher und stark dein Arm,
Rings ein seliges Raunen, -
Und die Sonne lockte so warm:
"Schlaf auf goldenen Daunen."
Näher und näher zum Teich heran,
Immer verstrickter die Loden . . .
Und du lachtest mich sonnig an:
"Lug und Trug ist der Boden.
Zitternde Quellchen schon hier und dort
Aus verborgenen Gründen! -
Halte dich fest - gleich sind wir am Ort,
Wo wir die Lilien finden."
Meine Seele war ganz Vertrau'n,
Und mir sprühten die Wangen . . .
Ach, ich wäre durch Nacht und Grau'n
Gläubig mit dir gegangen.
Sonder Furcht vor dem schwankenden Rain,
Vor den tückischen Bronnen, -
Immer dir nach in die Binsen hinein
Ganz verträumt und versonnen.
Drüben sah ich in silbernem Flor
Sich die Binsen erhellen, -
Eine Natter züngelt empor,
Höher sprühen die Quellen,
Weicher der Grund . . . Dir nach, dir nach!
Hielt mich ein Zauber gebunden? -
Aber die nickenden Lilien am Bach
Haben wir nicht gefunden.
(S. 42-43)
_____
Zwielicht
Ich hab es so gern, wenn die Dämmer
Höher und höher schweifen,
Mit grauen Nebelschleppen
Durch Busch und Geranke streifen.
Es taucht aus weichem Zwielicht
Verloren das stille Gefild,
Wie im verfallenen Münster
Ein nachgedunkeltes Bild.
Die scharfen Linien des Tages
Verwischt es mit Geisterhänden,
Und wie eine graue Springflut
Nun wogt es an allen Enden.
Die breiten Lindenwipfel,
Der Lüfte schwimmendes Blau,
Die Stadt mit Turm und Giebel
Versunken in Dämmergrau!
Noch seh' ich Mückenschwärme
Im lauen Dämmer schwimmen,
Und unter auf meinem Beete
Die weißen Nelken glimmen.
Mich überkommt ein Sehnen,
Aus fremden Welten ein Wehn . . .
Komm mit, wir wollen gemeinsam
Ins steigende Dunkel sehn.
Und daß auch ohne Worte
Mag Seele zu Seele dringen,
Laß uns, wie oft es geschehen,
Die Hände still verschlingen.
Den Zwielichtzauber stören
Könnte des Wortes Flut,
Drum laß die Lippe schweigen
Und reden das kreisende Blut.
Du sollst in der Pulse Klopfen,
In ihrem Verdämmern und Jagen
Mir all deine brennende Sehnsucht,
Dein zögerndes Hoffen sagen.
Und meine Geschichte erzählt dir
- In wenig Züge gebannt -
Das matte Glimmen des Auges,
Das wehe Zucken der Hand.
So laß uns die Dämmerwonnen
Der nahenden Nacht genießen,
So laß uns im Nehmen und Geben
Still in einander fließen.
Und redet der Pulse Hochflut
Von Schuld und Not und Pein,
Dann hüllt das Zwielicht schamvoll
Die glühenden Wangen ein.
(S. 47-48)
_____
Herbstveilchen
Nimm sie zurück - aus ihren Augen lacht
Der Lenz mich an mit weichem Liebesblick . . .
Ach, Trug und Traum! Schon dunkelt meine Nacht,
Und meine Toten kehren nicht zurück.
Der Reiher zieht im bleichen Sonnenschein,
Die letzten Falter taumeln lebensmatt,
Rot wie Burgunder flammt der wilde Wein,
Und von der Linde wirbelt Blatt um Blatt.
Ich sah dem Winter mutig ins Gesicht,
Doch nun am Abhang zögert mir der Fuß . . .
Mein Herz war still - stör seinen Frieden nicht
Mit deinem süßen, blauen Frühlingsgruß.
(S. 49)
_____
Weißt du es noch?
Weißt du es noch? - Vom Sonnenschein
Waren die Fluren trunken
Und - wie gebadet in jungem Wein -
Taumelnd in Schlaf gesunken.
Eine Iris duckte sich schwank
In die zitternden Ranken . . .
Wir allein auf der Rasenbank
In versunkenen Gedanken!
Um uns grünlich dämmernd Gezweig,
Espenrauschen und Flüstern,
Traumhaft leises Geplätscher im Teich,
Durch die Binsen ein Knistern.
Nur zuweilen im stillen Hag
Leises Locken und Gurren,
Ueber den Wassern ein Flügelschlag,
Einer Libelle Surren.
Weißt du es noch? - Wir beugten uns vor
Ueber die zitternden Wellen,
Sahen die goldenen Fliegen im Rohr
Ueber das Wasser schnellen; -
Sahen Cikaden, vom Schilf überdacht,
Silberig eingesponnen . . .
Sahen - und haben verträumt gelacht -
Drunten verlorene Sonnen.
Weich wie Kinderhände die Luft
Und der Himmel in Flammen!
Schlug nicht keimender Rosenduft
Ueber uns beiden zusammen?
Weißt du es noch? - Doch schweig, o schweig!
Daß wir den Zauber nicht stören . . .
Denn die Sonnenstunde am Teich
Soll uns allein gehören.
(S. 50-51)
_____
Wechsel
I.
Dir muß sich meine Seele neigen,
Wie wenn, vom Frühlingswind bewegt,
Mit langen, schwanken Blütenzweigen
Die Linde dir ans Fenster schlägt.
O mach mir auf . . . in ihrem Fächeln,
In ihrem Duft bin ich allein, -
Wie ein verschämtes Mädchenlächeln
Strahl' ich in deinen Traum hinein.
Und draußen gehn die Frühlingswinde
So weich und lockend durch die Nacht . . .
Schlaf ein, schlaf ein! - Die grüne Linde
Hat meinen Nachtgruß dir gebracht.
II.
Mit ihren Blüten, ihren Wonnen
Und ihren Düften heiß und schwer, -
Die jungen Tage sind verronnen,
Und deine Linde blüht nicht mehr.
Ein Sommersturm hat sie umwettert,
Ein jäher Blitz ihr Mark durchloht . . .
Nun steht sie einsam und zerschmettert
Und klagt den Winden ihre Not.
Du brauchst dem Wehruf nicht zu lauschen,
Denn was die starre Linde spricht
Und was die Herbstesstürme rauschen,
Das schickt dir meine Liebe nicht.
(S. 57-58)
_____
Tuberosen
Tuberosen hast du mir gesandt,
Und sie hängen im geschliffnen Glase
Schlank und bleich wie eine Frauenhand.
Ihre junge Blumenherrlichkeit
Welkt und flattert auf den schwanken Stielen;
Denn der Weg von dir zu mir ist weit.
Wenig Worte send' ich dir zurück . . .
Ob sie fiebernd mir im Herzen quellen,
Herb und kühl erscheinen sie dem Blick.
Und du ahnst nicht Liebe und nicht Leid,
Und du legst sie schweigend zu den andern . . .
Ach, der Weg von mir zu dir ist weit.
(S. 59)
_____
Du bist so mild
Du bist so mild . . . auf allen Wegen
Des jungen Lenzes such' ich dich,
Und meine Lippe flüstert Segen,
Und meine Hände falten sich.
Durch Nacht und Nebel will ich dringen,
Bis meine Seele dich erspäht
Und alle Saiten mir erklingen
Zu einem einzgen Dankgebet.
Und blüh' ich auch an deinem Pfade
Wie eine wilde Blume nur, -
Schon deine Nähe ist mir Gnade,
Und Frieden haucht mir deine Spur.
Und dürft' ich nie dir mehr begegnen,
Und müßt' ich fremd am Wege stehn . . .
In Ewigkeit will ich dich segnen
Ja nur für dein Vorübergehn.
(S. 62)
_____
O, dieses eine nur
Du rufst mit heil'gem Zorn mich ins Gericht? -
Du willst das alte Weh nicht länger tragen? - -
O, dieses eine nur: Verklag mich nicht!
Das Schicksal war's, das dich und mich geschlagen.
Ich stieß dich fort, ich hab' dir weh getan
Und möchte meine Seele um dich breiten . . .
O warte nur, bis wir die dunkle Bahn
Ins große, stille Tal des Friedens gleiten.
Dann wird ob meiner Qual und deinem Groll
Sich purpurrot die Ewigkeit erhellen,
Und über unsere toten Herzen soll
Ein Wissender den letzten Richtspruch fällen.
(S. 66)
_____
Du gingst vorbei
Du bist so still den Pfad gegangen,
Und meine Seele wurde licht,
Und meine letzten Knospen sprangen . . .
Du aber gingst und sahst mich nicht.
Ich war der Strauch mit frischen Trieben,
Wild wachsend in der Sommerluft,
Und all mein purpurrotes Lieben
Hauchte dich an aus meinem Duft.
So voll und gelb die Sommersaaten,
Durch die der weiche Juni strich! - -
Und alle meine Knospen baten:
"O pflück uns ab - wir blühn für dich!"
Doch aus den lichtumflossenen Fernen
Klang eines Wandervogels Schrei . . .
Du schautest nach verlorenen Sternen
Und sahst mich nicht und gingst vorbei.
(S. 68)
_____
Du!
Im Fieber zieh' ich meinen Lebenskreis,
Und manch ein Traum ist mir emporgeloht
Und küßt am Mittag mir die Seele heiß
Und flieht von hinnen mit dem Abendrot.
Ich hab' in mancher dunkeln Qual gebebt,
Die Stürme kenn' ich und den Frühlingshauch . . .
Ich hab' ein rasches Leben durchgelebt,
Ich stand in Flammen und zerflog in Rauch.
Dein ganzes Wesen aber ist die Ruh . . .
Und wenn dein Wort mir in die Seele sank,
Schließt sie sich scheu vor allen Blicken zu
Wie eine Blume, die den Himmel trank.
*
Ich bin die Harfe, die im Abendgold
Der Sommerwind mit leisem Finger spielt, -
Durch die das Echo aller Wetter rollt,
Wenn mitternächtlich sie der Sturm zerwühlt.
Und manche Weise sang ich tief und schwer . . .
Jedoch nicht alle Saiten klangen mit,
Und manche schrillte auf und sang nicht mehr,
Wenn rauh der Sturm durch ihre Fasern glitt.
Du aber greifst mir tief ins Herz hinein
Und weckst mein ganzes Harfenspiel zum Klingen,
Und meine Seele breitet ihre Schwingen . . .
Das Lied des Lebens spielst nur du allein.
*
Ich bin gewandert manchen herben Gang
Und stand in mancher bittern Not verlassen . . .
Da lernte ich des Lebens dunkeln Zwang:
Die stumme Liebe und das stumme Hassen!
Da ward mein Herz wie toter Winterschnee,
Den stille, tote Kraterwände tragen, -
Und keiner ahnt im Grund den Feuersee
Und sieht die Flammen aus den Ritzen schlagen.
Denn nur vor dir breit' ich mein Rätsel aus,
Und du allein verstehst mein letztes Hoffen,
Und meine ganze Seele liegt dir offen
Mit tausend Kelchen wie ein Fliederstrauß.
*
Daß meine Seele zürnt - o glaub' es nicht,
Mag auch der Blick dir fremd und hart begegnen . . .
Für jedes Wort, das deine Lippe spricht,
Soll noch im Sterben meine Hand dich segnen.
Du hast so manches Hassen mir gestillt,
So oft beruhigt mein verzweifelt Beben,
Und meine Seele wurde still und mild . . .
Du bist der Feiertag in meinem Leben.
(S. 69-70)
_____
Sehnsucht
Du bist in deiner jungen Pracht
Durch meinen stillen Traum gegangen,
Nun muß ich wieder eine Nacht
Um dich und deine Ruhe bangen.
Am Fenster seh' ich deine Spur
Dem Schatten gleich vorübertreiben . . .
- Still, still, der wilde Flieder nur
Klopft an die Fensterscheiben. -
So schwül die Luft, und über mich
Breitet die Nacht ihr weich Gefieder -
Du bist mir nah, ich ahne dich,
Ich fühle deine Rechte wieder.
Auf meiner heißen Stirn ein Wehn,
Ein Atem, waldesfrisch und linde . . .
- Still, still, im dunkeln Garten gehn
So schwer die Frühlingswinde. -
Und deiner Stimme weichen Klang
Fühl' ich durch meine Seele gleiten, -
Das ist ein Gruß von dir, der Sang
Verrauschter, hoffnungsfroher Zeiten.
Ich lausche dir, so traumesmatt,
Von fremder Seligkeit umschlungen . . .
- Still, still, die wilde Amsel hat
Im Forste nur gesungen. -
(S. 74)
_____
Irdische Liebe
Weiche, o weiche nicht schaudernd zurück,
Mag auch die Seele dir ahnend erbeben . . .
Rosen, Rosen will ich dir geben,
Denn mich sendet das purpurne Glück.
In die blühende Welt hinaus,
Wo die nächtlichen Fluren sich breiten,
Will ich auf schwanken Stegen dich leiten - -
Morgen sind wir zu Haus.
Folge mir nach in die Dunkelheit . . .
Leise, leise durch Gräser und Ranken!
Wo die goldenen Aehren schwanken,
Schläft am Wege das Erdenleid.
Stille des Herzens fiebernden Gang!
Daß wir das purpurne Glück nicht schrecken,
Daß wir das schlafende Leid nicht wecken . . .
Leise hinunter den Hang!
Unten duftet die Nacht so lau, - -
Oben der Sterne einsame Kreise!
Halte den Atem an - leise, o leise!
Feindlich Schatten durchhuschen die Au.
Leise, daß uns kein Unheil droht!
Denn durch die nachtumschauerten Gründe
Irrt meine schöne Schwester, die Sünde,
Und mein Bruder, der Tod.
(S. 87)
_____
Hochzeit
Durch Rosenbüsche zieht der Hochzeitsreigen -
Von der Veranda trillern süß und laut
Und sehnsuchttrunken die Zigeunergeigen . . .
Doch sie ist nicht die Braut.
Sie steht allein - um ihren Mund ein Sehnen
So bleich und krank, wie Tuberosen blühn,
Und Augen, die von ungeweinten Tränen
In ewgem Fieber glühn.
Das Brautpaar schied. In ein geheiligt Dunkel
Hüllt es der Liebe rosenrote Pracht, -
Und hier so grell der Lampions Gefunkel,
So schwül die Juninacht!
Sie steht allein - die weißen Hände fassen
In leere Luft, und Leere rings umher!
O Gott, o Gott, vergessen und verlassen,
Und keine Hoffnung mehr!
Sie hat ihn doch geliebt so viele Jahre,
So fest verschlossen in ihr Frauenherz . . .
Nun trat er mit der andern zum Altare,
Und Sünde ist ihr Schmerz.
Sie war ihm Freundin, hat mit ihm gerungen,
Wenn schwarz und schwer das Leben vor ihm lag,
So oft den Frieden ihm ins Herz gesungen,
Gehofft so manchen Tag.
Da kam die andere, die ihm nichts gegeben . . .
Sie stand nur da in ihrem Jugendglanz
Und bot ein Lachen für ihr Sorgenleben,
Und sie errang den Kranz.
Vorbei, vorbei! Es naht der Hochzeitsreigen,
Der Nachtwind fährt empor mit leisem Wehn, -
Goldene Käfer flirren in den Zweigen,
Die Nacht so rosenschön!
Und sie allein - und niemals Kranz und Schleier
Und nie der Hochzeitsreigen trunkner Hall!
- - - - - - - - - - - - - - - - -
Die Rosen duften, und am kleinen Weiher
Schluchzt eine Nachtigall.
(S. 102-103)
_____
Verlassen
I.
Wie in der Silberkaskade
Glitzernd die Sonne sich bricht! -
Mutter, o schließe das Fenster,
Mutter, mich tötet das Licht.
Leg auf die glühenden Augen,
Mutter, die kühlende Hand,
Mutter, o lehr mich vergessen,
Daß meine Sonne entschwand.
Leuchtender Tag ist's gewesen,
Ganz wie zum Lieben gemacht,
Aber die Nacht ist gekommen,
Mutter, die dunkelste Nacht.
Seit ich am sonnigen Hange
Ströme des Glückes einst sog,
Mutter, da haß' ich die Sonne,
Weil sie mich schmeichelnd betrog.
Doch wie das Dunkel so traulich
Mir um die Seele sich schlingt,
Mutter, als wollt' es verbergen,
Was in mir zittert und ringt.
Mutter, drum aus dem Gemache
Bann mir den feurigen Schein, -
Laß mich mit meinen Gedanken,
Mutter, im Dunkel allein.
II.
Du hast um all mein Glück gewußt,
Um all mein Weh, um all mein Sehnen . . .
Nein, sprich kein Wort! An deine Brust
Nur laß mich meine Stirne lehnen.
Für kleinre Schmerzen mag als Trost
Des Freundes Rede sich erzeigen.
Mich hat ein anderer Sturm umtost! -
Sei still - an Gräbern soll man schweigen.
III.
Vorbei, vorbei! Es war nur ein Traum,
Den gleißend der Morgenschimmer vertrieb . . .
Wir standen zusammen am Meeressaum
Und hatten uns wieder wie einst so lieb.
Vergessen war es, daß wir uns gehaßt,
Daß knisternd der Blitz uns im Auge geloht, -
Wir hielten uns wieder heiß-innig umfaßt
Und schwuren uns Treue bis in den Tod.
Rotgolden sank die Sonne ins Meer,
Rotgolden gleißte der Wellenschaum,
Und so bräutlich stille die Fluren umher . . .
Vorbei, vorbei! Es war nur ein Traum!
IV.
Nein, ich will nicht mit der Liebe scherzen,
Nein, ich will dich nicht mehr wiedersehn!
Nicht, als könnte je in meinem Herzen
Meine Liebe wieder auferstehn.
Traurig hab' ich wohl durch lange Wochen
Manch ein heiß Erinnern noch gepflegt,
Doch als du den Treuschwur mir gebrochen,
Hab' ich zu den Toten dich gelegt.
Da ward alle deine Schuld erlassen,
Und ich ging mit dir ins Gericht,
Denn es kennt der bleiche Tod kein Hassen,
Und an offnen Gräbern zürnt man nicht.
Aber wolltest du jetzt vor mich treten,
Wie vor Jahren schön und stolz und kühn,
O zum Fluche würde dann mein Beten,
Denn dem Toten nur hab' ich verziehn.
(S. 104-106)
_____
Aus: Erwachen
Gedichte von Hedwig Dransfeld
Dritte und vierte Auflage
Verlag J. P. Bachem G. M. B. H. Köln 1925
Biographie:
https://de.wikipedia.org/wiki/Hedwig_Dransfeld
|