Komm zu mir in der Nacht -

wir schlafen engverschlungen . . .

Else Lasker-Schüler (1869-1945) - Bilder / Gedichte / Prosa
 


Else Lasker-Schüler (1869-1945)
Nicodemus




Der Weihnachtsbaum
 

Später kommen sie alle in den Keller oder man wirft sie kurz und bündig auf den Schutthaufen. Aber ich kannte auch jemanden, dem genügte es nicht, die erlesene Tanne zu schmücken mit einem Silberkleide, ihn zu behängen mit Aepfeln und Nüssen und Näschereien, um ihn mit seiner Weihnachtsbraut zu plündern; er sog auch noch sein Mark und sein grünes Blut aus dem Stamm und seinen Aesten; denn er warf ihn in die Wanne mit Stern und mit dem schimmernden Wachsengel in der Krone - zu baden in dem duftenden Extrakt der frommen Nadeln. Später holte der Müllkutscher den also geschändeten Baum der Bäume ab.
   Aber ähnlich wie ihm, ergehts den Menschen selbst. Er ist der Menschen schimmerndes Symbol - aber auch ihr tragisches. Wer von ihnen einmal zum Weihnachtsbaum erhöht und geschmückt werde - darüber unterhalten sich schon in ihrer Windessprache die jungen Tannenkinder in der Waldschule. Zustatten kommt ihnen ihre Harmlosigkeit, die keinen spielverderberischen Gedanken zuläßt. Nicht jedes von uns Menschenkindern, selbst von uns Sonntagskindern, steht einmal angezündet auf dem blauen Tisch der Welt! Aber jede Mama mit Schokoladen und Marzipan und Spielzeug behangen, inmitten ihrer glücklichen, seligglühenden Kinderschar. Ihre Lichte brennen ewiglich, denn der Mutter Liebe brennt noch im Grabe und vom Himmel für ihr Kind. Jeder Mensch möchte so ein einziges Mal ganz im Lichte stehen . . . Wenn auch nur - ein Zweiglein - brennt! Im Zauber des Lichts, mit glitzernden Wundern behangen, gehört freilich zum Ausnahmeglück. Nur die große Liebe kann diesen Wandel vollbringen. Die Liebe will immer Weihnachten feiern, will anzünden und angezündet werden, sich beleben, beschenken und behangen werden mit Sternen . . . Wie doch vier Augen groß und weit werden und zwei Stimmen, die nicht mehr klingen konnten, plötzlich - läuten! Störe Liebende nicht, über sie leuchtet der Stern der Weihnacht - denn die Liebe ist ein Kind.
   Und wie bald erlöschen die Lichte des auserlesenen Herzens; oder rücksichtslos ausgeblasenen; Einer dem Anderen. Die Liebe ist der holde Baum der Ewigkeit. Immer neigt er über uns seine strahlenden Zweige - uns Weihnacht in Gold und Silberschaum zu pflücken. Und auf seiner Schulter steht schwebend ein Engel in himmelblaujauchzender Seide! Und lauter recht einfältige, dumme, nutzlose - aber lächelnde Dinge aus Zucker hängen an seinen Aesten. Sein Ebendbild zu werden, habe ich nie verlernt, mir zu wünschen. Denn dunkel sein, heißt der Liebe enthoben, tot sein und sich lichten - heißt, auferstehen. Ich weiß es ganz genau, auch Ihr und er . . .

Wir stehen längst geknickt wo angelehnt,
Am grauen Steine einer alten Mauer,
So ausgelöscht und haben uns gesehnt,
Nach einem einzigen Lichtchen in der Weltentrauer.
Wie nie auf einmal standen wir im Glanz . . .
Und unsere feierlichen Aeste hingegeben,
Verklangen ineinander wie ein Tempeltanz.
Was soll ich weiter - und auch du - mit deinem Leben,
Lichtlosem Dasein, das hell über Nacht - und - umgebracht -
Mit deinem funkelte noch eben.

Aus: Else Lasker-Schüler Werke und Briefe Kritische Ausgabe
Band 4: Prosa 1921-1945 Nachgelassene Schriften
Jüdischer Verlag im Suhrkamp Verlag Frankfurt am Main 2001 (S. 271-273)


 


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