Else Lasker-Schüler (1869-1945)
Die Häuptlinge gehen für ihren Kaiser auf Raub aus |
Die Eberesche
Wenn ich ein Stückchen Land besässe, ich würde mir ein kleines Wäldchen
von Ebereschen pflanzen. Ein einziger der glühenden Bäume könnte schon das
Glück eines Spätsommers ausmachen und verklären. Ja, die Eberesche
leuchtet in den Dezember hinein, täglich etwas dunkler werdend und
zweighängerischer. Bis die letzte Koralle an der Dolde wartet auf die
Schwarzdrossel, die sie aufpickt. Im schwarzen Frack, elegant, vornehmer
noch als die Krähe, setzt sie sich nieder zum roten Beerenmahle. Oft
schwingt sie sich aus einer Schneewolke herab, versammelt drei, vier,
fünf und noch mehr der schwarzen Wintergäste auf den gastlichen Baum. Auf
den gerade haben sie es abgesehen! Aus den Gärten der Umgegend ragen ja
noch einige Ebereschen korallengekrönt über die Dächer der Häuser, aber
eben auf unserer Eberesche zu dinieren, sind die Gourmes erpicht. Ich bin
ihr Truchsess und bringe Dessert: Brotkrumen; allerdings an Sonn- und
Feiertagen dediziere ich den entzückenden Schwarzdrosseln süsseste
Schnecken. Nicht lebendige etwa im Schneckenhäuschen, doch aus Weizen
gebackene mit Korinthen besträute, zuckerglasierte. Wie seelig, ein ganzes
Wäldchen von Ebereschen zu besitzen, von flammenden Bäumen, von Zweigen, an
denen die lebendige Koralle wächst. Schwarze Vögel kommen und vollenden
das Farbenspiel! Oft durch herabgefallenes Laub nahen sie mir märchenhaft
entgegen oder schnellen auf wie der Wind mit dem Wind!
Es dauerte schon eine Zeitlang, bis sie mich kannten und mich
rechneten zu ihren beflügelten Seelen. Eine Schwarzdrossel bin ich, trete
ich auf samtenen Krallen durch die kleine Türe unseres lieben Hotels in
den Gartenhof. Ich scheuche selbst erschrocken auf, wenn es unvermutet
jemandem einfällt, mir Schnickschnack zu bringen. Denn ich sitze so gern
in Gedanken, zwischen den herrlichen Vögeln auf der ritterlichen
Eberesche. Sie ist in Wahrheit eine Ritterin, das beweisen ihre stolzen,
roten Blutstropfen. Die brauchen sich nicht erst in den Adern vor der
Natur zu verbergen, sie hängen in Dolden unzählig an all ihren vielgegliederten Zweigen. Als der erste Schnee fiel und auch die Eberesche
eingekleidete, kam eine ganz grosse Schwarzdrossel, und ich sah, wie sie
mit ihrem spitzen Schnabel die Beeren am Baum von dem weissen Nass oder
dem feuchten Weiss befreite. Sie schüttelte eine jede der kleinen Früchte
der Dolden, nach Gutdünken und Gutschmecken, heftig hin und her, bis sie
ihr gesäubert erschien für die Tafel. Die schwarzen Freunde und
Freundinnen verfolgten der fleissigen Arbeiterin lebhaftes Gebaren mit
leuchtenden Augenpaaren. Aber, dass sie ihr, nach des Schneeschippens
anstrengender Arbeit, die paar noch hochfrischen Beeren zur Belohnung
grossmütig überlassen hätten, davon habe ich leider nichts bemerkt. Doch
sie selbst regalierten sich, indem ihre spitzen Schnäbel den Wein aus
jeder der kleinen Rebe tranken. So recht delikat wie der Weinkenner,
schoben sie, zunächst probierend, die entzückenden klugen Köpfe in den
Federrücken, kosteten und kosteten, bevor sie so recht ansetzen, dem
Schluck die Ehre antaten. "Wohl bekomm's!" dachte ich. Doch sie nehmen
schon gar keine Notiz mehr von mir. Auch niemand in den Häusern rings
herum, in den vielen Zimmern und Dachstuben, ahnt auch nur, dass ich es
bin, die Mannah - an Sonn- und Feiertagen, Mannah mit Korinthen und
Zuckerguss, auf die Leinwand der Laube regnen lässt, darüber die
rotschäumenden Zweige der Eberesche hängen.
Aus: Else Lasker-Schüler Werke und Briefe Kritische Ausgabe
Band 4: Prosa 1921-1945 Nachgelassene Schriften
Jüdischer Verlag im Suhrkamp Verlag Frankfurt am Main 2001
(S. 216-217)
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