Else Lasker-Schüler (1869-1945)
Die jüdischen Häuptlinge |
Vom Himmel
In
sich muß man ihn suchen, er blüht am liebsten im Menschen. Und wer ihn
gefunden hat, ganz zart noch, ein blaues Verwundern, ein seliges
Aufblicken, der sollte seine Blüte Himmel pflegen. Von ihr gehen Wunder
aus; unzählige Wunder ergeben Jenseits. Könnte ich nur immer um mich
sein, der himmlischen Beete möchte ich ziehen. Wie man versöhnt mit sich
sein kann, und Eigenes sein Ewiges küßt. Hätte ich je einen Menschen so
unumstößlich erlebt, wie ich mich! Zweitönig Pochen, vertrautes Willkomm.
Rundeilen meine Gedanken um mich, um alles Leben - das ist die große Reise
um aller Herzen Schellengeläut und Geflüster, über Wälle, die Jubel
aufwarf, über Gründe der Versunkenheit; und falle in Höhlen, die der
Schreck grub - und immer wieder seine Herztapfen wiederfinden, seinen
Blutton, bis man den ersten Flügelschlag in sich vernimmt, sein
Engelwerden - und auf sich herabblickt - süße Mystik. Und irrig ist, den
Himmelbegnadeten einen Träumer zu nennen, weil er durch Ewigkeit wandelt
und dem Mensch entkam, aber mit Gott lächelt: St. Peter Hille. - Was
wissen die Armen, denen nie ein Blau aufging am Ziel ihres Herzens oder am
Weg ihres Traums in der Nacht. Oder die Enthimmelten, die
Frühblauberaubten. Es kann der Himmel in ihnen kein Licht mehr zum blühen
finden. Aber Blässe verbreitet der Zweifler, die Zucht des Himmels bedingt
Kraft. Ich denke an den Nazarener, er sprach erfüllt vom Himmel und
prangte schwelgend blau, daß sein Kommen schon ein Wunder war, er wandelte
immerblau über die Plätze der Lande. Und Buddha, der indische Königssohn,
trug die Blume Himmel in sich in blauerlei Mannichfaltigkeit Erfüllungen.
Und Goethe und Nietzsche (Kunst ist reden mit Gott) und alle Aufblickende
und Himmelbegnadete und gerade Heine überzeugt mich, Himmel hing noch über
ihn hinaus und darum riß er fahrlässig an den blauen Gottesranken, wie ein
Kind wild die Locken seiner Mutter zerrt. Hauptmanns Angesicht und auch
Ihres, Dalai-Lama, wirken blau. Den Himmel kann sich niemand künstlich
verdienen, aber mancher pflückt die noch nicht befestigte, junghimmlische
Blüte im Menschen ab. Das sind die Teufel. Ihr Leben ist ohne
Ausblick, ihr Herz ohne Ferne. Der Nazarener am Kreuz wollte dem Teufel
neben sich noch eine sanfte Wolke, einen Tropfen Tau seines Himmels
schenken. Doch eher ist ein Taubstummer zu überzeugen, als ein
Glaubdummer. Der ist ein Selbstverbrecher.
Man kann nicht in den Himmel kommen, hat man ihn nicht in sich, nur
Ewiges drängt zur Ewigkeit. Es öffnet sich dem Himmelblühenden nicht
wegen seiner guten Taten der Himmel, verdammen ihn auch nicht seine
schlechten Handlungen zum Staube. Der Himmel belohnt und verdammt nicht.
Aber Wertewiges bedingt den Himmel. Der spiegelt sich gerne im Menschen,
unbegreiflich, wie Gott selbst. Reich und besonnen ist der himmlische
Träger. Die Wunder der Propheten, die Werke der Künstler und alle
Erleuchtungen, auch die unberechenbare Spiellust im Auge steigen aus der
Ewigkeit, der bleibenden Bläue des Herzens. Manchmal überkommt mich eine
schmerzliche Verantwortung, aber man kann nicht tief genug in sich schauen
und zum Himmel aufblicken.
Die Gottheit Himmel ist nicht zu greifen, sie wäre bald vergriffen
- die Ewigkeit ist nicht einmal zu verkürzen. Die Gottheit Himmel im
Menschen ist Genie.
Leben Sie wohl, sehr verehrter Minister, mein Himmel macht mich nicht
glücklich im irdischen Sinne, ich kann ihn nicht teilen. Wunderbar aber
spielen sich die tiefsten Erinnerungen meines Blutes in dem Glanze meines
Blau wieder. Fata-Morgana. Spätes Verwundern, seliges Aufblicken. - Tragen
Sie den Saphir meiner blauen Abendstunden zum Andenken an Ihrer grübelnden
Hand.
Aus: Else Lasker-Schüler Werke und Briefe Kritische Ausgabe
Band 3: Prosa 1903-1920 (Briefe nach
Norwegen (IX))
Jüdischer Verlag im Suhrkamp Verlag Frankfurt am Main 1998 (S. 209-210)
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