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Sonett 116
Nichts löst die Bande, die die Liebe bindet.
Sie wäre keine, könnte hin sie schwinden,
weil, was sie liebt, ihr einmal doch entschwindet;
und wäre sie nicht Grund, sich selbst zu gründen.
Sie steht und leuchtet wie der hohe Turm,
der Schiffer lenkt und leitet durch die Wetter,
der Schirmende, und ungebeugt vom Sturm,
der immer wartend unbedankte Retter.
Lieb' ist nicht Spott der Zeit, sei auch die Lippe,
die küssen konnte, Lieblichkeit dahin;
nicht endet sie durch jene Todeshippe.
Sie währt und wartet auf den Anbeginn.
Ist Wahrheit nicht, was hier durch mich wird kund,
dann schrieb ich nie, schwur Liebe nie ein Mund.
Übersetzt von Karl Kraus (1933)
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Sonett 116
Laß mich von keinen Hindernissen hören,
Die treuer Seelen Ehebund bedräun!
Lieb' ist nicht Liebe, wenn sie Störer stören,
Wenn sie Zerstreuung irrend kann zerstreun.
O nein! sie ist ein ewig sichres Ziel,
Thront unerschüttert über Sturmeswogen;
Ein Angelstern für jeden irren Kiel;
Kein Höhenmaß hat seinen Wert erwogen.
Lieb' ist kein Narr der Zeit, ob Rosenwangen
Auch ihrer Sichel krumme Schneid' umspannt:
In enger Stunden Lauf uneingefangen
Beharrt sie bis an Weltgerichtes Rand.
Wenn dies als Wahn, als Lüge sich ergibt,
So schrieb ich nie, so hat kein Mensch geliebt.
Übersetzt von Johann Gottlieb Regis (1836)
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Sonett 116
Fürwahr! nicht will ich die Vermählung
hindern
Getreuer Seelen. Lieb' ist ja nicht
Liebe
Wenn sie beim Wankelmuth sich kann
vermindern,
Und nicht auch treu dem Ungetreuen
bliebe.
O nein! Sie ist ein starker
Felsenriff,
An dem sich Sturm und Brandung
donnernd bricht,
Ein Stern ist sie, für manch
bedrängtes Schiff,
Gemessen ist sein Stand, sein Einfluß
nicht.
Lieb' ist kein Narr der Zeit: der
Wangen Blüthe,
Sie fällt in ihrer Sense raschem
Schwung,
Doch altert nie ein liebendes Gemüthe,
Am jüngsten Tag ist noch die Liebe
jung.
Und ist dies falsch, ward's nicht von
mir geübt,
So schrieb ich nie, so ward auch nie
geliebt.
Übersetzt von Dorothea Tieck (1826)
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Sonett 116
Nein, die Verein'gung treuer Seelen stört
Kein Hinderniß! Die Lieb' ist Liebe nicht,
Die Flattersinn zum Flattersinn bethört,
Die endet, wo der Andre Treue bricht.
O nein! Lieb' ist ein Markstein, in der Erd'
Gegründet, den kein Sturm erschüttern kann;
Ein Stern den Schiffern, dessen wahrer Werth
Uns fremd ist, nur die Höh' berechnet man.
Lieb' ist kein Spiel der Zeit, ob Rosenwang'
Und Lipp' auch unter ihrer Sichel fällt;
Liebe währt nicht blos stunden-, wochenlang,
Liebe währt bis an das letzte End' der Welt.
Wenn dies bei mir als Irrthum sich ergibt,
So schrieb ich nie und Niemand hat geliebt.
Übersetzt von Ferdinand Adolph Gelbcke (1867)
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Sonett 116
Die Einigung, die treue Herzen bindet,
Verhindert nichts: Lieb' ist nicht Liebe ja,
Die ändert, wenn Veränderung sie findet,
Und gleich entweicht, wo Abbruch ihr geschah:
Oh nein! sie ist der Markstein auf dem Riffe,
Der unerschüttert über Stürmen steht,
Der irren Barke Stern, von dem, begriffe
Man auch die Höh', man nie den Werth erräth.
Mag auch die Zeit auf Lipp' und Wange mähen
Den Rosenflor – ihr Narr ist Liebe nicht;
Die Liebe bleibt, wie schnell die Stunden gehen,
Und lebt und dauert aus bis zum Gericht.
Ist falsch dies; kann's an mir bewiesen werden:
Dann schrieb ich nie; dann gab's nie Lieb' auf Erden!
Übersetzt
von Fritz Krauss (1882)
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Sonett 116
Man spreche nicht bei treuer geister bund
Von hindernis! Liebe ist nicht mehr liebe
Die eine ändrung säh als ändrungs-grund
Und mit dem schiebenden willfährig schiebe.
O nein · sie ist ein immer fester turm
Der auf die wetter schaut und unberennbar.
Sie ist ein stern für jedes schiff im sturm:
Man misst den stand · doch ist sein wert unnennbar.
Lieb' ist nicht narr der zeit: ob rosen-mund
Und -wang auch kommt vor jene sichelhand . .
Lieb' ändert nicht mit kurzer woch und stund ·
Nein · sie hält aus bis an des grabes rand.
Ist dies irrtum der sich an mir bewies ·
Hat nie ein mensch geliebt · nie schrieb ich dies.
Übersetzt von Stefan George (1909)
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Sonett 116
Fürs Ehebündnis treuer Seelen kenne
Ich keinen Scheidungsgrund. Lieb' ist nicht Liebe,
Die Trennung sucht, weil sich der andre trenne,
Die dem Entlaufnen seinen Laufpaß schriebe.
O nein, sie ist die unverrückte Marke,
Die auf den Sturm herabschaut hoch und fest;
Sie ist der Stern für die verirrte Barke,
Des Höhe wohl, des Wert ihr nimmer meßt.
Sie ist kein Narr der Zeit; dem Rosenmunde,
Der blühnden Wange droht der Sense Schlag;
Doch Liebe wechselt nicht mit Woch und Stunde;
Sie harret aus bis an den letzten Tag.
Wenn dies ein Wahn ist, wenn sich das ergibt,
Dann schrieb ich nie, dann hat kein Mensch geliebt.
Übersetzt von Otto Gildemeister (1871)
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Sonett 116
Laß nicht, wo treue Seelen sich verbunden,
Einspruch gescheh'n. Nicht Liebe wird genannt,
Was wechselt, gleich wie Wechsel es gefunden,
Dem Störer zur Zerstörung bietet Hand.
O nein! Sie ist das Licht in Himmelsweiten,
Das unerschüttert auf die Stürme blickt;
Ein hell Gestirn, den irren Kahn zu leiten,
Deß Höh' bekannt, deß Werth uns doch entrückt.
Die Lieb' ist nicht der Zeiten Narr, erfasset
Gleich Todessichel ros'ge Lipp' und Wang',
In flücht'ger Woche keine Lieb' erblasset,
Sie währt bis zum Gerichtsposaunenklang.
Wenn das bei mir als Irrthum sich ergiebt,
Dann schrieb ich nie, hat Keiner je geliebt.
Übersetzt von Emil Wagner (1840)
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Sonett 116
Nie geb ich zu, daß treuer Herzen Bund
Je brechen kann. Denn Lieb ist Liebe nicht,
Die in dem Wechsel sieht des Wechsels Grund,
Und, wenn verschmäht, wie der Verschmäher spricht.
O nein, sie ist ein ewig festes Mal,
Schaut unverrückt aufs wildste Element,
Dem irren Boot ein Stern von hellem Strahl,
Deß Höhe man, deß Werth man nie erkennt.
Ein Spott der Zeit kann Liebe nimmer sein,
Verfällt ihr auch die Ros' auf Wang und Mund,
Am jüngsten Tag zeigt sie denselben Schein
Und wechselt nicht mit Woche, Tag und Stund.
Wenn dies an mir als Irrthum sich ergibt,
War ich kein Dichter, - hat kein Mensch geliebt.
Übersetzt von Benno Tschischwitz (1870)
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Sonett 116
Wie sollt' ich treu gesinnter Herzen Bund
Gefährdet glauben? Das ist Liebe nicht,
Die wechselt mit der Zeiten Wechsel und
Fremd in der Fremde werden kann der Pflicht.
O nein — sie ist ein unverrücktes Ziel,
Das unerschüttert strahlt in Sturm und Nacht,
Ein Leitstern sie für jeden irren Kiel,
Ist unberechenbar auch seine Macht.
Sie ist kein Narr der Zeit, ob Rosen-Mund
Und Wange ihrer Sichel auch erliegt, —
Sie kann nicht ändern sich mit flücht'ger Stund'
Und bis zur letzten währt sie unbesiegt.
Wenn dies in mir zum Irrthum werden kann,
Dann schrieb ich nie — hat nie geliebt ein Mann.
Übersetzt von Alexander Neidhardt (1870)
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