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Sonett 27
Wenn ich, erschöpft von Mühsal, ruhen will,
die müden Augen fallen mir nicht zu;
ach, dann ist's erst in meinem Kopf nicht still:
der Leib will Ruh, der Geist gibt keine Ruh.
Denn dich sucht bald er in der weiten Ferne,
in die es ihn mit frommem Sehnen zieht.
Vergebens aber leuchten Augensterne
durch jenes Dunkel, das der Blinde sieht.
Doch vorzustellen, was uns abgewandt,
dem innern Blick die Phantasie vermag;
und also strahlst du als ein Diamant,
und diese Nacht ist schöner als ein Tag.
Bei Tag und Nacht sich deine Macht mir weist:
dort hat mein Leib nicht Ruh, hier nicht mein Geist.
Übersetzt von Karl Kraus (1933)
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Sonett 27
Ich eil' ins Bett, ermüdet von Beschwer,
Zur holden Ruhstatt weitgereister Glieder;
Doch auf den Weg macht sich das Haupt nunmehr,
Wach wird die Seele, sinkt der Leib darnieder.
Denn jetzo suchen die Gedanken dich,
Aus welcher Fern' auf frommer Pilgerschaft;
Weit offen halten Augenlider sich,
Ich blick im Dunkel, wie ein Blinder gafft.
Nur meines Geistes Aug' einbildsamlich
Stellt dein Phantom unsehenden Augen dar:
Dort hängt's in Nächten ein Juwel für mich,
Verklärt das alte Dunkel wunderbar.
Sieh, wie am Tag den Leib, nachts das Gemüt,
Um dich und mich, ersehnte Ruhe flieht!
Übersetzt
von Johann Gottlob Regis (1836)
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Sonett 27
Vom Weg' erschöpft eil' ich zum Lager hin
Die Ruh' den müden Gliedern zu gestatten,
Doch dann beginnt die Reis' in meinem Sinn,
Den Geist, ruht aus mein Körper, zu ermatten.
Wenn die Gedanken vom entfernten Ort,
Zu Dir, mit heißer Andacht, pilgernd gehn
Dann scheuchen sie vom Aug den Schlummer fort:
Es schaut ins Dunkel, das auch Blinde sehn.
Dann stellt der Seele Phantasiegesicht
Dein Bild den blickberaubten Augen dar,
Das, gleich dem Diamant die Nacht durchbricht,
Ihr Antlitz schmückt, umstrahlt ihr schwarzes Haar.
So muß bei Tag dem Leib, und Nachts der Seelen,
Durch Dich und mich so Ruh' wie Schlummer fehlen.
Übersetzt von Dorothea Tieck (1826)
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Sonett 27
Von Mühsal matt such ich mein Lager auf,
Die süße Rast für reisemüde Glieder;
Doch nun beginnt im Kopf ein Pilgerlauf;
Der Körper ruht, der Geist arbeitet wieder.
Denn mein Gedank aus dieser Ferne zieht
Auf brünst'ge Wallfahrt aus, zu dir zu gehen,
Und öffnet weit mein schweres Augenlid,
Aufs Dunkel blickend, das die Blinden sehen.
Nur führet dann der Seele innres Schauen
Dein Schattenbild vor mein schaulos Gesicht,
Das wie ein Kleinod glänzt in Nacht und Grauen,
Die alte Nacht jung macht und Dunkel licht.
So wird mein Leib am Tag, mein Geist bei Nacht
Durch dich und mich um seine Ruh gebracht.
Übersetzt von Otto Gildemeister (1871)
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Sonett 27
Wenn müd der müh ich auf mein lager eile ·
Die teure ruh für glieder reise-matt ·
Dann erst beginnt in meinem kopf die meile ·
Gibt werk dem geist · hat es der körper satt.
Denn dann will mein gedanke aus den weiten
Zu dir in frommem pilgertume gehn ·
Hält weit die lider auf die niedergleiten
Und schaut ins dunkel das die blinden sehn.
Doch das erträumte sehen meiner seele
Beut deinen schatten dar sichtloser schau
Gleich dem im fenster hängenden juwele ·
Macht schön die nacht die vorher alt und grau.
Sieh wie bei tag den leib · bei nacht den geist
Nie unser beider schuld zur ruhe weist.
Übersetzt von Stefan George (1909)
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Sonett 27
Vom Wandern müde, eile ich zu Bette,
Erschöpfter Glieder süßem Ruheort;
Doch reißt, wenn so der Leib Erholung hätte,
Sehnsucht den Geist zu neuer Wandrung fort.
Denn hin zu Dir (von ferne, wo ich harre)
In hast'ger Wallfahrt all mein Denken zieht,
Daß ich, die schweren Lider offen, starre
In's leere Dunkel, wie's der Blinde sieht;
Nur daß der Seele innerliches Schauen
dein Bild vor meine blinden Augen stellt,
Das, wie ein Kleinod hängt in Nachtesgrauen,
Die alte, schwarze Nacht verjüngt, erhellt.
So wirken Du und ich, das Ruhe fehle
Dem Leib bei Tag, und dann bei Nacht der Seele.
Übersetzt von Fritz Krauss (1882)
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Sonett 27
Mein Lager such' ermattet ich geschwind,
Der wandermüden Glieder Ruhestatt,
Doch jetzt mein Geist die Wanderung beginnt,
Der wach noch, wenn der Leib schon schlummermatt.
Eilt mein Gedanke aus der Ferne doch
Auf ems'ger Pilgerfahrt nach dir sodann,
Das müde Lid weit offen haltend noch,
Und sieht nur, was ein Blinder sehen kann.
Doch deinen Schatten zeigt die rege Macht
Der Phantasie dem Auge ohne Licht,
Der, dem Juwele gleich in finstrer Nacht,
Sie lieblich macht und neu ihr alt Gesicht.
So gönn' ich Tags den Gliedern keine Ruh',
Und Nachts raubst du der Seele sie — nur du!
Übersetzt
von Alexander Neidhardt (1870)
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Sonett 27
Erschöpft von Mühn eil ich zu meinem Bette,
Wo sanft mein Leib nach harter Reise ruht;
Nun fängt mein Kopf auf seiner Lägerstätte
Zu wandern an, und thätig wird mein Muth.
Denn mein Gedanke, bin ich noch so fern,
Er pilgert zu dir voller Sehnsucht hin;
Mein sinkend Aug' es schaute dich so gern,
Nacht zeigt sich, wie sie Blinde schaun, dem Sinn.
Doch meiner Seelen einbildsam Gesicht
Zeigt deinen Abriss, der, dem Aug' entrückt,
Gleich dem Juwel die grause Nacht durchbricht,
Sie hold verschönt und neu ihr Antlitz schmückt.
So soll am Tag dem Leib und Nachts der Seelen
Um dein- und meinethalb die Ruhe fehlen.
Übersetzt
von Benno Tschischwitz (1870)
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Sonett 27
Zum Lager eil' ich, matt von schweren Müh'n,
Die nöth'ge Ruh', dem müden Leib zu geben;
Doch auf die Reise die Gedanken zieh'n,
Der Geist wird wach, wenn stirbt des Körpers Streben.
Die Phantasie zu dir nach weiter Ferne
In eifrig frommer Pilgerfahrt dann zieht,
Nicht gönnt sie Ruh' dem müden Augensterne,
Der, Blinden gleich, nur Finsternis ersieht;
Nur daß dem Blick die schöpferische Seele
Dein lieblich Bild in leerer Trübe zeigt,
Das, gleich bei Nacht hellglänzendem Juwele,
Die Nacht verschönt, daß sie dem Tage gleicht.
Sieh', wie bei Tag' dem Leib und Nachts der Seele
Also für dich und mich die Ruhe fehle.
Übersetzt
von Emil Wagner (1840)
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Sonett 27
Erschöpft von Mühsal sink' ich auf mein Bett,
Der theuren Ruhstatt reisemüder Glieder;
Doch nicht des Tagwerks Mühen bin ich wett,
Nun schafft der Geist, liegt schon der Leib darnieder.
Denn die Gedanken wandern, neu erwacht,
Fernhin zu Dir; die müden Augenlider
Stehn fest gebannt, und in die finstre Nacht,
Nach Art der Blinden, starrt mein Auge wieder;
Nur daß der Seele zauberisch Gesicht
Vor meinen blöden Blick Dein Antlitz stellet,
Das, wie ein Edelstein, mit süßem Licht
Die Nacht verschönt und wunderbar erhellet.
Sodaß mein Geist bei Nacht; mein Leib bei Tag
Um Dich, um mich nicht Ruhe finden mag.
Übersetzt von Ferdinand Adolph Gelbcke (1867)
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