William Shakespeare
(1564-1616)


Sonett 44

Wär' dieses Leibs schwerfälliger Stoff Gedanke,
So trennte Raum und Zeit Dich nie von mir,
Denn immerdar durchbräch' ich jede Schranke,
Die zwischen uns und eilte hin zu Dir!

Und ständ' ich an des Erdballs fernstem Rande,
Gleichgiltig wär' es mir, denn unumschränkt
Fliegt der Gedanke über Meer und Lande,
Erreicht sein Ziel so schnell er es nur denkt.

Doch der Gedanke beugt mich, daß ich nicht
Stets als Gedanke kann Dir nach mich schwingen,
Denn Meer und Land hält mich in schwerem Bann,
In Jammer muß ich meine Zeit verbringen;

Die trägen Stoffe können, die mich beugen,
In mir nur Schmerz und bittre Thränen zeugen.



Übersetzt von Friedrich Bodenstedt (1866)


 

 

 



weitere Übersetzungen:

Sonett 44
 
Wär meines Fleisches zäher Stoff Gedanke,
Dann hielt mich neidische Entfernung nicht;
Denn allem Raum zum Trotz entflöh ich jeder Schranke,
Die mich verbannt aus deinem Angesicht.
 
Dann gält mir gleich, ob auch am fernen Strande
Mein Fuß stünd, weit von dir; denn unumschränkt
Springt der Gedanke über Meer und Lande
So schnell als er den Ort, wohin er fliehn will, denkt.
 
Doch ach! Tod ist dies Denken: nicht Gedanke
Zu sein, um Welten weit dir nachzufliehn;
Und daß ich so am Gram der lahmen Zeiten kranke,
Wenn Erd' und Wasser mich zu Boden ziehn,
 
Die trägen Elemente, die mich nur
Mit Tränen nähren, ihres Jammers Spur.



Übersetzt von Johann Gottlob Regis (1836)

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Sonett 44

Wär' dieses Leibes träger Stoff der Geist,
vermöchte keine Ferne uns zu trennen,
durch Räume wär' ich rasch dir nachgereist
und wollte keine Grenze anerkennen.

Und ständ' mein Fuß gebannt am fernsten Ort,
dem Geiste wahrlich wär' zum Spott die Schranke,
ich dächte über Land und Meer mich fort
und schon am Ziele wäre der Gedanke.

Mich tötet der Gedanke, daß ich nicht
Gedanke bin, um stets dich aufzufinden:
mein Element erzwingt mir den Verzicht,
das Hindernis des Raums zu überwinden.

Von Erd und Wasser, die in mir vereint,
sind schwer die Tränen, die ich dir geweint.



Übersetzt von Karl Kraus (1933)

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Sonett 44
 
Wär' meines Leibs schwerfäll'ger Stoff Gedanke,
Die böse Ferne hielte nie mich hier;
Dem Raum zum Trotze, von der fernsten Schranke
Würd' ich dahin getragen, hin zu dir.
 
Stünd' auch mein Fuß am letzten Erdenrande,
Von dir entrückt, es läge nichts daran;
denn der Gedanke überhüpft die Lande
Und ist am Ziel, so schnell er's denken kann.
 
Ach, der Gedank ist Tod, daß kein Gedanke
Mich meilenweit dorthin trägt, wo du bist;
Ich, schwer geformt aus Erd und Wasser, kranke
In Sehnsucht, bis die Zeit mir gnädig ist.
 
So schwere Elemente bringen bloß
Mir schwere Tränen – Sinnbild für ihr Los.



Übersetzt von Otto Gildemeister (1871)

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Sonett 44

O! wär' Gedanke meines Körpers Last!
Dann sollt' Entfernung meinen Fuß nicht binden;
Trotz weiter Räume, eilt' ich sonder Rast
Von fernster Grenz' herbei um Dich zu finden.

Ständ' ich auch dann auf fremdem Meeresstrand,
Getrennt von Dir, an weit entlegnem Ort:
Gedanke springt ja über See und Land,
Denkt er, wohin er will, gleich ist er dort.

Ich sterbe, denkend ich sey nicht Gedanke
Um durch die Lüfte mich zu Dir zu tragen.
Mein Leib von Erd' und Wasser ist die Schranke
Der trägen Zeit folg ich mit herben Klagen.

Die Elemente können nur gewähren
Der Trauer einz'ges Labsal: bittre Zähren.



Übersetzt von Dorothea Tieck (1826)

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Sonett 44
 
Mein träger Körper, wär' er nur Gedanken,
Nicht hielte mich des Raumes Herrschaft auf;
Und trotz des Raums und der Entfernung Schranken
Nähm' ich zu dir im Fluge meinen Lauf.
 
Nicht hemmt es mich, wenn, noch so weit verbannt,
Ich weilte an der Erde fernstem Ort;
Gedanken eilen über Meer und Land,
So schnell man denkt, wär' ich bei dir sofort.
 
Zu denken, daß ich nicht Gedanken bin,
Quält mich, dir nachzufliegen weit in Eil'
Und klagend bringe meine Zeit ich hin,
Daß an mir Erd' und Wasser haben Theil;
 
Da nichts die trägen Stoffe sonst mir reichen,
Als schwere Thränen, ihres Kummers Zeichen.



Übersetzt von Emil Wagner (1840)

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Sonett 44
 
Wär meines fleisches dumpfer stoff der sinn
So triebe ferne mich nicht kränkend fort.
Dann zöge ich dem raum zum trotze hin
Von weit entlegner mark an deinen ort.
 
Dann wärs das gleiche wenn mein fuss auch stand
Auf fernster erde weggeführt allein:
Der flinke sinn springt über meer und land
Schnell wie den platz er denkt wo er will sein.
 
Ach sinnen tötet mich dass nicht als sinn
Ich wenn du fern bist laufe lange meile ·
Dass ich der viel aus erd und wasser bin
Muss seufzend warten auf die gunst der weile.
 
Da mir solch träge stoffe nichts verleihn
Als tränen schwer - zeichen von beider pein.



Übersetzt von Stefan George (1909)

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Sonett 44
 
Ach! wäre dies mein träges Fleisch Gedanke,
Sollt' Ferne nicht die Schritte hemmen mir;
Denn dann ja trüg' mich's, trotz des Raumes Schranke,
Von weit entlegnen Grenzen hin zu Dir.
 
Gleichgültig dann, ob auch mein Fuß noch wäre
Auf dem Dir fernsten Erdenrand; denn fort
Ist der Gedanke über Land und Meere,
schon wenn er denkt sich den gewünschten Ort.
 
Doch Tod ist der Gedanke, daß Gedanke
Ich nicht bin, mich zu schwingen Meilen weit,
Und, Erd' und Wasser selbst, es diesen danke,
Wenn ich verjammern muß die müß'ge Zeit;
 
Da mir so träge Elemente Zähren,
Die Zeichen unsres Schmerzes, nur gewähren.


 
Übersetzt von Fritz Krauss (1882)

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Sonett 44
 
Wär' meines Leibes träger Stoff Gedanke,
Dann hielte mich Entfernung nicht zurück,
Ich eilte, überfliegend jede Schranke
Und jeden Raum, vor Deines Auges Blick.
 
Gleichgültig wär' es, wo ich mich befände,
Denn über Länder, über Meere fort
Schwingt von der Erde allerfernstem Ende
Sich der Gedanke hin an jeden Ort.
 
O weh! zu denken, daß ich nicht Gedanke
Und nicht Dir folgen kann; daß ich aus Erd'
Und Wasser ganz an grober Mischung kranke
Und harren muß, bis Zeit mir Trost gewährt:
 
Da träg die Elemente nichts gewähren,
Als jedes Leides Merkmal, - bittre Zähren.


 
Übersetzt von Ferdinand Adolph Gelbcke (1867)

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Sonett 44
 
Wär meines trägen Fleisches Stoff Gedanke,
Nie hemmt' ein Abstand feindlich meine Bahn;
Dem Raum zum Trotz von jeder fernen Schranke
Wollt ich mich dir, wo du auch weiltest, nahn.
 
Mir wär es gleich, hätt' ich zum fernsten Strande
Von dir hinweg auch meinen Fuß gelenkt;
Denn der Gedanke fliegt durch Meer und Lande
So schnell als er, wohin er strebt, sich denkt.
 
Doch daß ich nicht Gedanke, der Gedanke
Ist Tod; ich folgte gern dir viele Meilen;
Aus Staub und Naß gezeugt, klag ich und kranke
Mit Stöhnen, will die Zeit nicht rasch enteilen.
 
Nichts kann so träger Urstoff uns verleihn
Als bittre Thränen, Zeichen unsrer Pein.



Übersetzt von Benno Tschischwitz (1870)

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Liste der hier vertretenen Übersetzer:

  1. Bodenstedt Friedrich  (1819-1892)
    William Shakespeare's Sonette in Deutscher Nachbildung von Friedrich Bodenstedt,
    Berlin (Verlag der Königlichen Geheimen Ober - Hofbuchdruckerei R. Decker) 1866
     
  2. Gelbcke Ferdinand Adolph (1812-1892)
    Shakespeare's Sonette, übersetzt von F. A. Gelbcke,
    Hildburghausen Leipzig (Verlag des Bibliographischen Instituts) oJ (1867)
     
  3. George Stefan (1868-1933)
    Sonnette, Umdichtung von Stefan George, Berlin (Georg Bondi) 1909
     
  4. Gildemeister Otto (1823-1902)
    Shakespeare's Sonette, übersetzt und erläutert von Otto Gildemeister,
    mit Einleitung und Anmerkungen, Leipzig (F. A. Brockhaus) 1871
     
  5. Kraus Karl (1874-1936)
    Nachdichtung von Karl Kraus, Wien Leipzig (Verlag der Fackel) 1933
     
  6. Krauss Fritz (1842-1881)
    Shakespeare's Southampton - Sonette, deutsch von Fritz Krauss, Leipzig 1872
     
  7. Neidhardt Alexander (1819-1908)
    Shakespeare's kleinere Dichtungen, deutsch von Alexander Neidhardt, Berlin (um 1870)
     
  8. Regis Johann Gottlob (1791-1854)
    Shakspeare - Almanach, Hg. von Gottlob Regis, Sonnette, Berlin 1836
     
  9. Tieck Dorothea (1799-1841)
    Shakespeares Sonette in der Übersetzung Dorothea Tiecks
    kritisch herausgegeben von Christa Jansohn, Tübingen (Francke Verlag) 1992

     
  10. Tschwischwitz Benno (1828-1890)
    Shakspere's Sonette, deutsch von Benno Tschischwitz, Halle (Barthel) 1870
     
  11. Wagner Emil (1810-1889)
    William Shakspeare's sämmtliche Gedichte,
    Im Versmaße des Originals übersetzt von Emil Wagner, Königsberg 1840

     

Liste der Übersetzer von Shakespeares Sonetten:
http://pages.unibas.ch/shine/translatorsgerman2.htm

 

 

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