William Shakespeare
(1564-1616)


Sonett 52

So bin ich wie der reiche Mann, der still
Den Schlüssel führt zu seligem Besitze,
Den er nicht täglich sehn und zählen will,
Nicht abzustumpfen seltner Freude Spitze.

Daher der Feste Würd' und Herrlichkeit,
Weil sie so selten uns das Jahr gewährt,
Sie dünn gesät sind wie am Halsgeschmeid
Und anderm Schmuck Gestein vom höchsten Werth.

So gleicht die Zeit, die Dich bewahrt, dem Schrein,
Den mein Gewand und meine Schätze füllen,
Am Festtag mir ein theurer Schmuck zu sein,
Stolz das verborgne Schöne zu enthüllen.

Gesegnet seist Du, der das Glück mir offen
Hältst, wo Du bist – und wo Du fehlst: das Hoffen.



Übersetzt von Friedrich Bodenstedt (1866)


 

 



weitere Übersetzungen:

Sonett 52
 
So bin ich wie der Reiche, der sich still
Am Schlüssel labt zu heimlichem Besitze,
Den er nicht alle Stunden zählen will,
Um nicht zu stumpfen seltnen Reizes Spitze.
 
Daher der Feste Würd' und Herrlichkeit,
Weil sie nur sparsam in des Jahres Reigen,
Wie größre Edelstein' im Halsgeschmeid,
Wie reinste Perlen dünngesät sich zeigen.
 
So ist die Zeit, die dich mir birgt, der Schrein
Und Kasten, der ein gut Gewand verwahrt,
Für einen Ehrentag erlesner Schmuck zu sein,
Wenn es verborgnen Glanz von neuem offenbart.
 
Heil dir und deinem Wert! denn du beseelst
Zum Jubel, wo du bist; zum Hoffen, wo du fehlst.



Übersetzt von Johann Gottlob Regis (1836)

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Sonett 52
 
Dem reichen Manne gleich' ich, der im stillen
den Schlüssel führt zu den geheimen Schätzen,
die er dem eignen Blick nicht will enthüllen,
daß nicht Gewöhnung stumpfe das Ergötzen.
 
Darum sind seltne Feste so begehrt,
die glänzend doch das ganze Jahr bescheinen,
wie durch Juwelen von besondrem Wert
gemehrt der Glanz wird an den andren Steinen.
 
So wahre ich dich in dem Schrein der Zeit,
wie Festgewand dich sorgsam zu verschließen,
um, wenn es Zeit ist, deine Herrlichkeit
in der Enthüllung gänzlich zu genießen.
 
Gesegnet bist du, der die Lust mir weckt,
wenn offen du – mein Hoffen, wenn verdeckt.



Übersetzt von Karl Kraus (1933)

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Sonett 52
 
So gleich ich denn dem Reichen, dem sein Schlüssel
Die Tür zum teuern Schatz aufschließen kann;
Doch schaut er, um den Reiz der seltnen Schüssel
Nicht schal zu machen, ihn nicht stündlich an.
 
Darum sind Feiertage so voll Weihe,
Weil sie, wie edle Steine, selten nur
Gefaßt sind in des Jahres lange Reihe,
Wie Hauptjuwelen in der Perlenschnur.
 
Die Zeit, die Euch verwahrt, gleicht einem Schranke,
Der Kleiderstaat verbirgt und nur zum Fest,
Besondern Stunden zu besonderm Danke
All seine Pracht aus ihrer Haft entläßt.
 
Dank Euch! denn Eure Tugenden gewähren
Triumph im Anschaun, Hoffnung im Entbehren.



Übersetzt von Otto Gildemeister (1871)

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Sonett 52

So bin ich, wie der Reiche, den das Drehen
Des Schlüssels, zum verborgnen Schatze führt,
Den er nicht stündlich will noch täglich sehen,
Weil oft genoßne Lust von Reiz verliert.

Drum ist ein Fest so feierlich, so hold,
Im langen Jahr' wird selten uns die Freude,
Wie Diamanten dünn vertheilt im Gold
Wie Edelstein' am reichen Halsgeschmeide.

Die Zeit ist solch ein Raum der Dich verschließt,
So ruht ein hell Gewand im dunkeln Schrein,
Und doppelt wird die Stunde dann versüßt,
Entfaltet sich der Farben lichter Schein.

Durch Dich steht Deinem Freund der Himmel offen,
Vereint mit Dir im Glück, getrennt im Hoffen.



Übersetzt von Dorothea Tieck (1826)

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Sonett 52
 
Dem Reichen gleich' ich, der mit Schlüssels Kraft
Des theuern Schatzes Truhe sich erschließet,
Doch nicht durch viel Beschauen sie erschlafft,
Die Lust, die seltner er, so mehr genießet.
 
Drum herrlich ist ersehnten Festes Feier,
Die spärlich trifft des langen Jahres Reih';
Wie Steine dünn gesäet, daß mehr theuer
Des Halsgeschmeids Juwel dem Anblick sei.
 
So wahrt die Zeit dich mir in ihrer Hülle,
Wie Festgewand wohl birgt der sichre Schrein;
In schöner Stunde mag Genusses Fülle
Gefangne Lust aus neid'scher Haft befrei'n.
 
Heil dir, des Ruhm, besitzt man dich, gewährt
Triumph – und Hoffnung, wenn man dich entbehrt!



Übersetzt von Emil Wagner (1840)

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Sonett 52
 
Dem Reichen bin ich gleich: sein Schlüssel thut
Ihm seinen teuren Schatz auf, den sein Geiz
Doch stündlich zu beschaun nicht hat den Muth,
Um nicht zu stumpfen seltner Freude Reiz.
 
Sind Feste doch so hehr darum allein,
Weil sie im langen Jahr so selten nur,
Wie in dem Schmuck das köstliche Gestein
Und Diamanten in der Perlenschnur.
 
Die Zeit, die fern dich hält, ist drum mein Schrein,
Der Truhe gleich, die's Festgewand bewacht,
Um einen hehren Tag noch mehr zu weih'n
Durch die Enthüllung der gefangnen Pracht.
 
Gesegnet du! du gibst, wenn du vermisst,
Mir Hoffnung — gibst mir Lust, wenn nah' du bist.



Übersetzt von Alexander Neidhardt (1870)

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Sonett 52
 
So gleich ich einem Reichen, den beglückt
Die Schlüssel zu verwahrtem Schatze bringen,
Der seinen Blick nicht jede Stund entzückt,
Um seltner Freude Reiz nicht zu verringen.
 
Drum sind auch Feste einzig und so hehr,
Weil selten kommend in des Jahres Länge,
Wie Hauptkleinod' und Stein' an Werthe schwer
Nur spärlich sind in einem Halsgepränge.
 
So ist die Zeit mir, die dich hält, ein Schrein,
Wohl auch die Truh mit Festgewand erfüllt,
Den sondren Tag besonders noch zu weihn,
Wenn den geborgnen Schmuck sie nun enthüllt.
 
Heil dir! es gibt mir doppelt Muth dein Werth,
Dir nah – zur Lust; zum Hoffen – wenn entbehrt.



Übersetzt von Benno Tschischwitz (1870)

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Sonett 52
 
Dem Reichen gleich' ich, dem sein Schlüssel leicht
Den Schatz erschließt in wohlverschloßner Truh,
Der aber nicht allstündlich zu ihm schleicht,
Damit die seltne Schau ihm wohler thu.
 
Das giebt den Festen erst die wahre Pracht,
Daß sie im Jahre nicht zu eng gereiht,
Nein, dünn gesäet sind, wie der Smaragd,
Saphyr und Diamant im Halsgeschmeid.
 
So macht's die Zeit, die Dich als Truh verschließt,
Als Lad', in der ein schön Gewand verwahrt,
Daß reichre Lust dem Augenblick entsprießt,
Wenn ihren Schatz sie neu mir offenbart.
 
Gesegnet sei mir Schatz, denn Du giebst immer:
Besessen – Glück, entbehret – Hoffnungsschimmer.



Übersetzt von Ferdinand Adolph Gelbcke (1867)

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Sonett 52
 
So bin ich wie der Reiche, der zu süßen
Verschlößnen Schätzen seinen Schlüssel hat:
Nicht jede Stunde will er sie begrüßen,
Sonst wird der Reiz der seltnen Freude matt.
 
Das macht die Feste feierlich und theuer,
daß, selten kommend, dünn gesät sie stehn
Im langen Jahr', wie edler Steine Feuer
Abwechselnd wir im Halsgeschmeide sehn.
 
So hält die Zeit dich wie mein Schrein zurücke,
Wie unsern Staat der Schrank birgt, und erfüllt
Besondre Stunde mit besondrem Glücke,
wenn stolz sie die gefangne Pracht enthüllt.
 
Gesegnet bist Du, deren Ansehn nähret
Triumph, genossen; Hoffnung, wenn entbehret.


 
Übersetzt von Fritz Krauss (1882)

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Sonett 52
 
Dem Reichen gleich ich dem sein liebes schloss
Aufspringt zum süss verborgenen besitze
Dess anblick er nicht jederzeit genoss
Dass nicht verstumpft der seltnen freude spitze.
 
Feste sind drum so einzig und so hehr
Weil dünn-gesetzt sie langes jahr durchschneiden
Wie edle steine · seltner wiederkehr ·
Und wie die hauptjuwelen an geschmeiden.
 
So hält die zeit dich mir wie eine lade
Und wie das fach vom feierkleid gefüllt:
Besondre stunde bringt besondre gnade
Wenn sie den eingefangnen prunk enthüllt.
 
Gesegnet bist du:  dessen wert · wenn offen
Zum jubel anlässt · wenn verdeckt · zum hoffen.



Übersetzt von Stefan George (1909)

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Liste der hier vertretenen Übersetzer:

  1. Bodenstedt Friedrich  (1819-1892)
    William Shakespeare's Sonette in Deutscher Nachbildung von Friedrich Bodenstedt,
    Berlin (Verlag der Königlichen Geheimen Ober - Hofbuchdruckerei R. Decker) 1866
     
  2. Gelbcke Ferdinand Adolph (1812-1892)
    Shakespeare's Sonette, übersetzt von F. A. Gelbcke,
    Hildburghausen Leipzig (Verlag des Bibliographischen Instituts) oJ (1867)
     
  3. George Stefan (1868-1933)
    Sonnette, Umdichtung von Stefan George, Berlin (Georg Bondi) 1909
     
  4. Gildemeister Otto (1823-1902)
    Shakespeare's Sonette, übersetzt und erläutert von Otto Gildemeister,
    mit Einleitung und Anmerkungen, Leipzig (F. A. Brockhaus) 1871
     
  5. Kraus Karl (1874-1936)
    Nachdichtung von Karl Kraus, Wien Leipzig (Verlag der Fackel) 1933
     
  6. Krauss Fritz (1842-1881)
    Shakespeare's Southampton - Sonette, deutsch von Fritz Krauss, Leipzig 1872
     
  7. Neidhardt Alexander (1819-1908)
    Shakespeare's kleinere Dichtungen, deutsch von Alexander Neidhardt, Berlin (um 1870)
     
  8. Regis Johann Gottlob (1791-1854)
    Shakspeare - Almanach, Hg. von Gottlob Regis, Sonnette, Berlin 1836
     
  9. Tieck Dorothea (1799-1841)
    Shakespeares Sonette in der Übersetzung Dorothea Tiecks
    kritisch herausgegeben von Christa Jansohn, Tübingen (Francke Verlag) 1992

     
  10. Tschwischwitz Benno (1828-1890)
    Shakspere's Sonette, deutsch von Benno Tschischwitz, Halle (Barthel) 1870
     
  11. Wagner Emil (1810-1889)
    William Shakspeare's sämmtliche Gedichte,
    Im Versmaße des Originals übersetzt von Emil Wagner, Königsberg 1840

     

Liste der Übersetzer von Shakespeares Sonetten:
http://pages.unibas.ch/shine/translatorsgerman2.htm

 

 

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