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Sonett 54
O, wie ist Schönheit zwiefach schön und hehr,
Wenn sie der Wahrheit goldner Schmuck erhebt!
Die Ros' ist lieblich, aber lieblicher
Macht sie der Wohlgeruch, der in ihr lebt.
Die Hagebutten sind so zart gemalt,
Wie duft'ger Rosen hohe Purpurglut,
Bedornt wie sie; am West entfaltet prahlt
Ihr Knösplein mit demselben Übermut.
Doch, weil ihr wert nur Schein ist, leben sie
Unangesehn, verwelken unempfunden
Zu stillem Tode; süße Rosen nie:
Aus ihrem süßen Tod wird süß'rer Duft entbunden.
So auch aus dir, du Schöner, Lieber! zieht
Aus dir die Wahrheit, wenn du welkst, mein Lied.
Übersetzt von Johann Gottlob Regis (1836)
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Sonett 54
O wieviel schöner Schönheit uns ersteht,
wenn innrer Wert dem Schmucke zugestellt!
Schön ist die Rose; ihren Glanz erhöht
jedoch der holde Duft, den sie erhält.
Die Heckenrose hat die gleiche Glut,
dieselben Dornen wie die echten Rosen,
und ihre Lust, die in der Knospe ruht,
erwecken Winde mit dem gleichen Kosen.
Doch all ihr Wert erschließt sich bloß im Schein,
bestimmt nur, unbegehrt am Strauch zu sterben.
Die echte wird uns sterbend noch erfreun
und duftend süßen Nachruhm sich erwerben.
Dir, schöner Freund, wenn Schönheit einst verdorrt,
lebt doch dein wert in meinem Liede fort!
Übersetzt von Karl Kraus (1933)
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Sonett 54
O wie viel schöner wird die Schönheit doch,
Wenn sie der holde Schmuck der Treue hebt;
Der Rose Rot ist schön, doch schöner noch
Durch jenen süßen Duft, der in ihr lebt!
Des Wilddorns Rose hat so volle Glut
Wie nur die würz'ge Pracht am Rosenstrauch,
Hängt auch an Dornen, spielt auch wohlgemut,
Wann sich ihr Kelch erschließt, im Sommerhauch;
Doch weil ihr andrer Wert als Glanz gebricht,
Lebt sie verschmäht, welkt unbeklagt zur Gruft,
Stirbt nur für sich. Die süße Rose nicht:
Ihr süßer Tod noch liefert süßen Duft.
So, schöner Jüngling, Schönheit wird vergehn,
Doch deiner Treue Duft in Liedern wehn.
Übersetzt von Otto Gildemeister (1871)
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Sonett 54
O wie viel schöner strahlt die Schönheit doch
Im edlen Schmuck, den ihr die Treue leiht.
Die Ros' ist süß, und dünkt uns süßer noch,
Um ihres Duftes reiner Lieblichkeit.
Wohl ist auch tief gefärbt die wilde Rose,
Und gleicht der echten Blume duft'gem Glanz,
Sie spielt auf zartem Strauch im Windgekose,
Erschließt ein Frühlingshauch der Blätter Kranz;
Doch weil ihr Werth nur hängt am äußern Schimmer,
So blüht sie ungesehn, welkt und vergeht;
Sie stirbt sich selbst; die süße Rose nimmer,
Weil süßer Duft aus ihrem Tod' entsteht.
So ist es, Freund, mit Deiner Schönheit Blüthe:
Stirbt sie, bewahrt mein Vers Dein treu Gemüthe.
Übersetzt von Dorothea Tieck (1826)
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Sonett 54
O, wie vielmehr erscheint die Schönheit schön,
Wenn süßen Schmuck die Treue ihr gegeben!
Die Ros' ist schön, doch ihren Rang erhöh'n
Die süßen Düfte, welche in ihr leben.
Die Hageros' hat gleichen Farbenglanz
Und gleicher Röthe Gluth wie duft'ge Rosen,
Denselben Dorn, spielt in der Winde Tanz
Ganz so bei lauer Sommerlüfte Kosen;
Doch ihre Tugend in dem Schein nur liegt.
Sie blühet und sie welket ungesehen,
Und stirbt für sich; die duft'gen Rosen nicht,
Ihr süßer Tod macht süße Düft entstehen.
So, wenn der Schönheit Zeit dem Tod gegeben,
Wird deine Treu' in meinen Versen leben.
Übersetzt von Emil Wagner (1840)
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Sonett 54
O, wie viel schöner leuchtet Schönheit doch
Im Schmuck der Treu! Dem Aug' ein lieblich Bild
Gewährt die Rose, aber werther noch
Wird sie uns durch den Duft, der ihr entquillt.
Nichts giebt die Hageros' an Farbe nach
Der Schwester, deren Kelch von Düften fließt;
Sie hanget auch am Dorn, schwankt auch am Hag,
Wenn Hauch des Sommers ihre Knosp' erschließt.
Doch all ihr Werth ist eitel Scheinen blos,
Sie lebet unbegehrt, welkt unbeacht't;
Sie stirbt nur sich! Nicht so die süße Ros',
Aus ihrem Tod wird Wohlgeruch gemacht.
So zieht mein Lied, verwelkt Dir Reiz und Jugend,
Daraus den Duft von Deiner Treu und Tugend.
Übersetzt von Ferdinand Adolph Gelbcke (1867)
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Sonett 54
Oh! wie viel schöner ist die Schönheit, schmücket
Sie jener Reiz, den Wahrheit um sie webt;
Schön sieht die Rose, doch noch mehr entzücket
Sie durch den süßen Duft, der in ihr lebt.
So tief wie jener Schmelz der echten Rose,
Glänzt das Gewand der wilden Rose auch;
So hängt an Dornen sie, spielt grad so lose,
Wenn sie erschließt sich vor des Sommers Hauch.
Doch prangt sie nur für sich, lebt unbegehret
Und stirbt verachtet in sich selbst dahin;
Nicht so die Rose, deren Süße währet,
Weil ihrem Tod wir süßen Duft entziehn.
So wird mein Vers Dein wahres einst auch fassen,
Wenn Deine Schönheit und Dein Reiz erblassen.
Übersetzt von Fritz Krauss (1882)
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Sonett 54
O wieviel mehr die schönheit schön erscheint
Durch jenen süssen schmuck den wert ihr webt!
Hold sieht die rose aus · doch holder meint
Man jenen süssen duft der in ihr lebt.
Wildblüten haben gleiche tiefe glut
Am gleichen dorn wie riechend farbige rosen
Und · wenn des sommers atem offen tut
Die knospenlarven · gleiches üppiges kosen.
Doch ihre tugend liegt nur im gesicht ·
Sie leben ohne lieb und ehr · am strauch
Absterbend . . süsse rosen tun das nicht:
Aus ihrem süssen tod strömt süsster hauch.
So träufle · lieblicher und schöner knabe ·
Wenn alles welkt dein wert aus meiner gabe.
Übersetzt von Stefan George (1909)
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Sonett 54
Um wie viel schöner zeigt sich Schönheit doch,
Wenn sie der Wahrheit holder Schmuck erhebt!
Schön ist dem Aug die Rose, schöner noch
Dünkt uns der würzge Duft, der in ihr lebt.
Die Hageblume trägt ein Roth zur Schau,
Wie jenes duftige der echten Rosen,
Und spielt wie sie auf gleichem Dorn, wenn lau
Die Lüfte mit verhüllten Knospen kosen.
Doch, da ihr Vorzug nur zum Auge spricht,
blühn einsam sie und sinken freundlos nieder
Zum stillen Tode; echte Rosen nicht;
Ihr süßer Tod gibt süßre Düfte wieder.
Mein schöner Liebling, flieht einst deine Jugend,
Strömt in mein Lied der Ruf von deiner Tugend.
Übersetzt von Benno Tschischwitz (1870)
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Sonett 54
O wie viel schöner strahlet Schönheit doch,
Wenn innren Werthes Schmuck sie noch erhebt?
Schön ist die Rose — doch viel schöner noch,
Weil von so süßen Düften sie belebt.
Die wilde schmückt gleich zarter Tinten Hauch
Wie jene, deren Duft sich reich ergießt —
Ihr gleich an Dornen buhlt so los' sie auch
Mit jedem Zephyr, der die Knosp' erschließt;
Doch all ihr Werth in Sußrer Zierde liegt —
Drum lebt sie ungeworben und erbleicht
Einsam in sich; — also die edle nicht,
Die selbst im Tod noch süßen Duft uns reicht.
Und so — wenn deine Schönheit einst verblüht,
Lebt doch dein innrer Werth in meinem Lied.
Übersetzt von Alexander Neidhardt (1870)
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