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Sonett 97
Wie war es Winter mir und alles alt,
als fern du warst, du Lust verwichner Zeit!
Der Tag war tot, grau war die Luft, und kalt
umfing Dezember die Verlassenheit.
Und doch war Sommer einst – daß ich's noch denke,
und Herbst war, dem ein Segen sich entbot
und der noch schwoll von Lenzes Lustgeschenke,
wie eine Witwe nach des Gatten Tod.
Doch dieser Überfluß schien mir verschwendet
wie Waisenhoffnung; denn nur du bekamst
das Recht auf Fülle, die Natur gespendet.
Und Vögel schwiegen, als du Abschied nahmst.
Ertönt ihr trüber Schall, ein Schauder faßt
das Laub, das wie vor Winterfurcht erblaßt.
Übersetzt von Karl Kraus (1933)
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Sonett 97
Wie ist von dir, dem Stern des flücht'gen Jahrs,
Die Trennung mir zum öden Winter worden!
Wie schüttelte mich Frost, wie dunkel war's
Wie dürr dezemberschaurig aller Orten!
Und doch war Sommer diese Trennungszeit,
Fruchtbarer Herbst, der schwellend überfloß,
Beladen mit des Frühlings Üppigkeit,
Wie nach des Gatten Tod der Witwe Schoß.
Doch vaterlose Frucht, Verwaisungszeichen
Sah ich in dieser Segensfülle nur:
Denn dir folgt Sommer und sein Glück; es schweigen
Wo du fehlst, selbst die Vögel auf der Flur.
Und sängen sie, es wär so bang zu hören,
Daß Blätter, winterscheu, ihr Grün verlören.
Übersetzt von Johann Gottlob Regis (1836)
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Sonett 97
Wie glich mein Fernseyn trüben
Wintertagen
Als ich von Dir mich trennte, Bild des
Mays.
Frost, Dunkelheit und Sturm hab' ich
ertragen,
Ringsum war Nacktheit, Armuth,
starrend Eis.
Doch war die Zeit der Sommer. Der
verflossen
Folgt' ihm der Herbst, der reiche
Gaben both,
Im Schoos trug er des üpp'gen
Frühlings Sprossen,
Der Wittwe gleich, nach ihres Gatten
Tod.
Mir schien der reiche Seegen
anzudeuten
Hoffnung auf Waisen, da der Vater
schied,
Weil Lenz und seine Freuden Dich
begleiten
Bist Du entfernt, verstummt der
Vöglein Lied.
Und singen sie, so ist's ein
klagend Wehe,
Daß Blumen welken, ahndend
Winters nähe.
Übersetzt von Dorothea Tieck (1826)
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Sonett 97
Entfernt von Dir, des flücht'gen Jahres Lust,
Wie winterlich ist Alles mir erschienen!
Wie dunkel! Wie durchzog mir's kalt die Brust,
Wie sah mich Alles an mit Eisesmienen!
Und dennoch war es holde Sommerzeit;
Dann kam der schwangre Herbst, so reich an Gaben,
Der trug die Frucht des Sommers unterm Kleid,
Wie eine Gattin, die den Mann begraben.
Und vaterlose Frucht schien alles mir,
Geborne Waise, was die Felder bringen;
Denn Lust und Sommer weilen nur bei Dir,
Und bist Du ferne, wird kein Vöglein singen.
Und singen sie, so ist's ein Lied der Trauer,
Das Laub erbleicht davor im Winterschauer.
Übersetzt von Ferdinand Adolph Gelbcke (1867)
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Sonett 97
Getrennt von Dir, der Lust des flücht'gen Jahres,
Wie ward zum Winter mir die bange Zeit!
Wie fror ich bis in's Herz, wie düster war es –
Dezembers kahle Öde weit und breit!
Und war doch Sommer, war im Herbst, dem reichen,
Dem fruchtgeschwellten, der die Liebeslast
Des Frühlings reifend trug, so zu vergleichen
Dem Witwenschoß, deß Gatte früh verblaßt.
So sah ich denn in diesem Zeugungssegen
Nur Waisenhoffnung, vaterlose Frucht;
Denn Dir nur lacht des Sommers Lust entgegen,
Kein Vogel, bist Du fern, sein Lied verflucht;
Und singt er doch, so ist's so trüb, daß jähe
Das Grün erbleicht, aus Furcht vor Winters Nähe.
Übersetzt
von Fritz Krauss (1882)
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Sonett 97
Wie gleich dem Winter fand ich meine Lage,
Entfernt von dir, du Lust des flücht'gen Jahrs!
Wie fühlt' ich Fröste, sah bewölkte Tage
Und Kahlheit des erstarrten Januars!
Und doch war Sommerszeit die Zeit des Bannes,
Die schwangre Herbstzeit, die des Segens voll,
Wie eine Witwe eines toten Mannes,
Von Frühlings üpp'gen Leibesbürden schwoll.
Mir aber kam all dieser reiche Segen
Wie Hoffnung vaterloser Waisen vor;
Sommer und Sommerlust folgt deinen Wegen,
Und wo du fehlst, verstummt der Vögel Chor;
Und singt er doch, dann ist so trüb ihr Klang,
Daß bleich das Laub wird, vor dem Winter bang.
Übersetzt von Otto Gildemeister (1871)
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Sonett 97
Gleich einem winter war mir meine ferne
Von dir · entzücken du vom flüchtigen jahr!
Wie fühlt ich frost! verdunkelt sahn die sterne ·
Und überall dezember alt und bar!
Doch waren sommers zeiten die entlegnen:
Der trächtige herbst · mit reicher schwellung gross ·
Trug von dem sommer her das üppige segnen
Wie nach des gatten tod der witwe schoss.
Doch dieser volle ausbruch deuchte mir
Hoffnung von waisen · vaterlose frucht -
Denn sommer und sein reichtum warten dir
Und vögel werden stumm bei deiner flucht.
Doch wenn sie singen ist so trüb der laut
Dass bleich das laub wird dem vorm winter graut.
Übersetzt von Stefan George (1909)
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Sonett 97
O gleich dem Winter war Abwesenheit
Von dir, des flieh'nden Jahres süßer Luft!
Was für ein Frost! Wie dunkle Tageszeit,
Als läg' ich an Decembers kalter Brust!
Und doch war Sommertag mir diese Frist,
Ein reicher Herbst, der volle Garben bot,
Und viel mit üpp'ger Frucht gesegnet ist,
Wie Witwenschooß nach des Gemahles Tod.
Mir schien jedoch so reiche Gabe nur
Wie Hoffnung, die ein Waisenkind beschleicht;
Denn Sommerfreude folgt stets deiner Spur,
Und wo du fehlst, der Vögel Lied selbst schweigt.
Und singen sie, so ist's ein solches Lied,
Daß wie im Winter drum das Laub entflieht.
Übersetzt von Emil Wagner (1840)
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Sonett 97
Wie ward zum Winter mir die böse Zeit,
Als fern ich dir, des flücht'gen Jahres Lust!
Nichts gab's als frost'ger, trüber Tage Leid,
Decemberöde überall, und wusst'
Ich gleich, dass Sommer es an Trieben reich:
Er trug des üpp'gen Lenzes holde Frucht,
Dem Wittwenschoss, wenn tot der Gatte, gleich,
Und Fülle rings, wohin mein Blick gelugt.
Doch dieser Überfluss bedünkte mir
Wie Waisenhoffnung nur und trügrisch drum;
Denn Sommer ist und Freude nur bei dir,
Und wo du fern, sind selbst die Vöglein stumm;
Und singen sie, so traurig ist der Ton,
Dass welk das Grün wird, bang vor Winters Drohn.
Übersetzt von Alexander Neidhardt (1870)
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Sonett 97
Dem Winter gleich, du meines Jahres Wonne,
War mir die Zeit, die mich getrennt von dir;
Wie fühlt ich Frost; wie dunkel war die Sonne,
Decembers grause Kahlheit dort wie hier.
Doch Sommer war's, als scheiden ich gemußt,
Dann Herbst, reich an Gedeihn und fruchtgeschwellt,
Noch tragend an des Frühlings Liebeslust,
Gleich Wittwen, wenn den Mann der Tod gefällt.
Doch mir schien dieser Überfluß an Segen
Die Aussicht nur auf Waisen anzuzeigen,
Denn dir folgt Sommerfreude allerwegen,
Daß, wo du nicht bist, selbst die Vögel schweigen.
Und, singen sie, thun sie's mit Trauersange,
Daß Blätter welken, vor dem Winter bange.
Übersetzt von Benno Tschischwitz (1870)
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