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Sonett 99
Das freche Veilchen schalt ich: »Süßer Dieb,
wo hast du deinen feinen Duft gestohlen?
Vom Hauch des Liebsten! Wo gewannst du lieb
den Purpur dir? Bekenn es unverhohlen!
Von seiner Wange, daß ihm fast nichts blieb.«
Die Lilie hat von seiner Hand genommen,
der Majoran vom Glanz des Haares keck;
am Strauche standen Rosen recht beklommen,
teils rot vor Scham und teils auch weiß vor Schreck.
Und eine, die nicht rot, nicht weiß erschienen,
die war's, die seinen Hauch von beiden stahl;
dafür wird sie trotz ihrem Stolz verdienen
von eklem Wurm zu leiden Todesqual.
Noch Blumen gab's; doch keine, der man's glaubt,
daß sie nicht Duft und Farbe dir geraubt.
Übersetzt von Karl Kraus (1933)
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Sonett 99
So schalt ich oft des Veilchens Uebermuth:
Du kleiner Dieb! vom Hauch des Freundes stahl'st
Du deinen süßen Duft. Die Purpurgluth,
Womit Du Deine zarten Wangen malst,
Nahm'st Du zu merklich aus des Freundes Blut.
Im Weiß der Lilie sah ich Deine Hand,
Im Majoran der Locken Herrlichkeit.
Auf Dornen furchtsam jede Rose stand,
Wie rothe Scham und bleiches Herzeleid.
Die Dritte nahm von beiden Weiß und Roth,
Und fügte Deinen Athem zu dem Raub;
Doch nagte rächend sie ein Wurm zu todt,
Im Stolz der Jugend sank sie in den Staub.
Noch mehr der Blumen sah ich; aber keine,
Die Farb' und Duft nicht nahm von Dir alleine.
Übersetzt von Dorothea Tieck (1826)
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Sonett 99
So schalt ich früher Veilchen Übermut:
Wo strahlt ihr süßen Diebe euern Hauch,
Wenn nicht von seinem Mund? Die Purpurglut
Auf euern samtnen Wänglein habt ihr auch
Nur schwach gefärbt in seiner Adern Blut!
Den Lilien warf ich deine Hände vor;
Daß er dein Haar bestahl, dem Majoran.
Furchtsam auf Dornen stand der Rosen Chor,
Teils vor Verzweiflung weiß, teils rot vor Scham:
Und eine, weder rot noch weiß, vermaß
Von beidem sich, und stahl noch deinen Atem:
Allein zur Strafe kam ein Wurm und fraß
Im vollsten Prangen sie für ihre Taten. -
Nicht eine war von aller Blumen Zahl,
Die nicht dir Farben oder Düfte stahl.
Übersetzt von Johann Gottlob Regis (1836)
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Sonett 99
Das übermütige veilchen schalt ich drob:
›Wo · süsser dieb · stahlst du dein süss das haucht?
Von meines liebsten atem! . . Purpurn lob
Auf deiner wange? Du hast eingetaucht
In meines liebsten adern allzugrob.‹
Die lilie klagt ich an um deine hand ·
Die mairan-knospe die dein haar bestahl -
Und manche rose bang am dorne stand
DIE rote scham · und
jene weisse qual.
Nicht weiss noch rot · die dritte · stahl von zwein
Die deinen hauch zu nehmen sich vermass ·
Doch für den diebstahl trotz dem stolzen schein
Ein rachevoller wurm zu tod sie frass.
Mehr blumen traf ich an · doch keine kam
Die duft und farbe nicht von dir entnahm.
Übersetzt von Stefan George (1909)
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Sonett 99
Dem kecken
Veilchen hab' ich so gedroht:
Wem stahlst den Duft du, der dich köstlich macht,
Als meines Liebsten Hauch? Wenn zierlich loht
Von deiner Wange dunkle Purpurpracht,
Sie ward gefärbt aus seines Herzens Rot.
Die Lilie traf um deine Hand mein Zorn,
Den Majoran, weil er dein Haar entwandt,
Und zitternd hingen Rosen an dem Dorn,
Bleich in Verzweiflung oder schamentbrannt.
Und eine, weder weiß noch rote, nahm
Zu diesem Raub noch deinen Odem dir;
Zur Strafe nagt, blüht sie auch wundersam,
Doch rächend schon des Todes Wurm in ihr.
Mehr Blumen sah ich, aber keine, die
Von dir nicht Duft und süße Farbe lieh.
Übersetzt von Max Josef Wolff (1926)
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Sonett 99
Das frühe Veilchen schalt ich so etwa:
Du süßer Dieb! von meines Liebchens Hauch
Stahlst Du den Duft! die Purpurwangen da,
Die färbtest Du in ihrem Blute auch;
Nur schade, daß es besser nicht geschah!
Die Lilie schalt ich wegen Deiner Hand,
Den Majoran, daß er Dein Haar Dir stahl;
Auf Dornen schüchtern Ros' um Rose stand,
Die roth vor Scham, die bleich vor Liebesqual.
Nur eine, die nicht roth, nicht bleich war, nahm
Sich beides, Deinen Athem obendrein.
So schön sie war, sie büßt' es, denn da kam
Der Rächer Wurm und fraß sich tief hinein.
Viel Blumen sah ich noch, doch keine schier,
Die nicht gestohlen Farb' und Duft von Dir.
Übersetzt von Ferdinand Adolph Gelbcke (1867)
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Sonett 99
Das frühe Veilchen ward drum so bedroht:
Wo hast du, holder Dieb, den Duft genommen,
Als aus des Liebsten Hauch? Das Purpurroth,
Was deine zarte Wange hat bekommen,
Tauchst du in Farben, die sein Blut dir bot,
Um deine Hand schalt ich die Lilienblüthen,
Der Majoran stahl dir dein dunkles Haar,
Die Rosen furchtsam in den Dornen glühten;
Hier rothe Scham und weiße Angst dort war.
Die dritte hat sich Roth und Weiß gestohlen,
Und noch mit deinem Athem sich bedacht;
Doch für den Stolz, den sie zeigt unverhohlen,
Hat rächend ihr ein Wurm den Tod gebracht.
Mehr Blumen sah ich; keine doch ich fand,
die Duft und Farbe dir nicht hätt' entwandt.
Übersetzt von Emil Wagner (1840)
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Sonett 99
Das Veilchen schalt ich also: Süßer Dieb,
Wo stahlst du deines süßen Duftes Hauch,
Falls nicht vom Munde meinem holden Lieb?
So hast des Kelches zarte Tinten auch
In ihren Adern du gefärbt zu tief.
Die Lilie, Lieb, beraubte deine Hand,
Der Majoran dein Haar, so zart und weich;
Die Rosen standen wie von Schreck gebannt,
Die schämt roth, jene vor Verzweiflung bleich.
Die dritte aber, weder weiß noch roth,
Stahl deines Mundes Odem obendrein;
Ob dieses Raubes treffe sie der Tod,
Zernagt vom Wurm trotz allem Duft und Schein.
Mehr Blumen sah ich noch — doch sah ich keine,
Die dir nicht Färb' und Duft geraubt — nicht eine!
Übersetzt von Alexander Neidhardt (1870)
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Sonett 99
Mit zeitgen Veilchen mußt ich also hadern:
Aus meinem liebsten Mund, du holder Dieb,
Stahlst du den Duft. Aus den geliebten Adern
Den Purpur, der auf deinen Wänglein blieb.
Die Lilien schalt ich aus ob deiner Hand,
Den Majoran, der raubte deine Locken,
Daß schamroth hier die Ros' am Stengel stand
Dort vor Verzweiflung blaß, und beid' erschrocken.
Die Dritte, weder roth noch weiß, stahl beides,
Und fügte noch den Hauch zu ihrem Raub,
Ein böser Wurm, zur Strafe ihres Neides,
Er nagte sie, trotz ihrer Pracht, zu Staub.
Nicht eine Blume fand ich an der Stätte,
Die Farb und Duft nicht Dir entwendet hätte.
Übersetzt von Benno Tschischwitz (1870)
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