Aus: Der Buchstabe Dal
LVIII. (58)
Vor deinem Angesicht
Der Mond nicht Schimmer hat,
Die Rose keine Glanz
Vor deinen Wangen hat.
Des Herzens Posten sind
Der Augen hohe Brau'n;
Solch einen schönen Ort
Kein Fürst und König hat.
Was thut des Herzens Rauch
Den Wangen denn zu Leid?
Du weißt, ein Spiegel nichts
Vom Hauch zu fürchten hat.
Ich bin es nicht allein,
Den dieses Haar verfolgt,
Wer ist's, der in der Brust
Kein Brandmaal hat?
Ich sehe, daß das schwarze Aug'
Das dir im Kopfe rollt,
Auf keinen alten Freund
Die kleinste Rücksicht hat.
Herold, der Schenke gieb
Mir nur ein Rotel Wein's, 1
Auf's Wohlseyn unseres Scheihs
Der keine Pfründe hat.
Du trinke Blut und schweig',
Indem das zarte Herz,
Für solche Klagen nicht
Geduld und Muße hat.
Wie frech ist die Narziß',
Daß sie vor dir noch blüh't,
Daß mit zerriß'nem Aug',
Sie wenig Sitte hat.
Geh' hin und wasch' mit Blut
Den Aermel Jedermanns,
Der nicht zur Schwell' der Thür',
Den Weg gefunden hat.
Hafisen schmähle nicht,
Er liegt anbetend da,
Ein Freygeist in der Lieb'
Auch keine Sünde hat. 2
1 Rotel, ein Gewicht von 200 Unzen
in Aegypten, in anderen Ländern bald von größerem,
bald von kleinerem Gehalte.
2 Kafiri
ischk. Wer an die Liebe nicht glaubt. Sudi erklärt, das
heiße so viel als: wer die Liebe fremden Augen zu
verbergen wisse, habe keine Sünde; übrigens sey dieser
Ausdruck sehr häufig in den persischen Dichtern, und
heiße so viel als: Einer, der Liebe kaufe und verkaufe,
das ist: in der Liebe lebe und schwebe.
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