Mohammed Schemsed-din Hafis

(Übersetzung: Joseph von Hammer-Purgstall)


Aus: Der Buchstabe Dal

LXXII. (72)

Als in der Ewigkeit deiner Schönheit
Schimmer entglänzte, ward die Liebe,
Die mit Flammen die Welten ergriffen.

Strahlen entfloßen den Wangen; Engel
Sah'n es, und blieben unempfindlich;
Zürnend wandte sie sich zu den Menschen.

Siehe! da bat der Verstand um einen
Funken, die Leuchte anzuzünden,
Eifersucht war der blitzende Funken.

Unsere Geheimniße zu erfahren,
Wünschte der Nebenbuhler, eine
Höhere Hand hält die Brust ihm verwirret.

Anderen brachte das Loos, das ihnen
Einstens beschert ward, Liebe: meinem
Gramen Herzen nur brachte es Kummer.

Selbst der belebende Geist der Welten
Fiel in das Grübchen deines Kinnes,
Faßte, um sich zu retten, die Locken.

Selbigen Tages, Hafis, verließest
Du das Vergnügen in der Liebe,
Triebst die Freude aus deinem Gemüth aus.

Die drey ersten Strophen enthalten eines der sinnreichsten metaphisischen Allegorien, die sich bei orientalischen Dichtern finden. Was ist Liebe? Nichts als der Abglanz der Schönheit der Geliebten, so wie sie von Ewigkeit her unter den ewigen Ideen sich befand. Engel, welche in der Betrachtung des Urbilds selbst schweigen, kümmern sich um den Abglanz nicht. Da sank sie, die himmlische Erscheinung herab zu den Menschen. Der kalte Verstand, der in der Liebe nichts versteht, sondern nur im Finstern herumtappt, bat um einen Funken, seine Leuchte anzuzünden, die Liebe gab ihm einen, und das war die Eifersucht, die wohl auch ohne Liebe bestehen kann. Um wie viel schöner ist diese Gasele als Cavalcanti's berühmte Canzone, welche die Philosophie der Lir scolastisch behandelt.


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