Mohammed Schemsed-din Hafis

(Übersetzung: Joseph von Hammer-Purgstall)


Aus: Der Buchstabe Dal

XCV. (95)

Nicht Jeder, der sein Antlitz schminkt,
Deßhalb von Schönheit weiß.
Nicht Jeder, welcher Spiegel macht,
Von Alexandern weiß.

Nicht Jeder, welcher auf dem Haupt
Gesenkt die Kappen trägt,
Der Herrschaft Sitte und Gebrauch
Vollkommen kennt und weiß.1

Hierinn sind Dinge tausendlei
Ein jedes feiner als ein Haar,
Nicht Jeder, der das Haar sich scheert,
Der Kalendere Sitten weiß.

Hast Wort und Treue du gelernt,
So beßer ist's für dich.
Wenn nicht, ist's recht, weil Jedermann
Das Unrecht kennt und weiß,

Es drehet sich mein schwarzes Aug'
Blos um dein schwarzes Maal,
Indem den Werth des Edelsteins
Der Edelstein nur weiß.

Wie Bettler diene nicht dem Freund,
Um einen festgesetzten Lohn,
Indem der Freund die Dienerschaft
Schon zu ernähren weiß.

Versenkt in meiner Augen Fluth,
Wo find' ich Hülfe nun!
Indem nicht Jedermann durch's Meer
Sich fortzutreiben weiß.

Ich bin der Sklav des Trunkenbolds,
Der alles Heil verbrennt,
Der aus dem Bettlerstaube Gold
Durch Kunst zu machen weiß.

Mein närrisches verwirrtes Herz,
Hab' ich jetzt ausgespielt,
Und weiß nun, daß ein Menschenkind
Perien Zauber weiß.

Der Schah erobert eine Welt,
Durch Wuchs und Angesicht,
Wenn er nur die Gerechtigkeit
Auch zu vollziehen weiß.

Hafisens Lied kennt Jedermann,
Wer liebliche Natur besitzt,
Und wer ein Wort von dem Deri 2
Noch vorzusagen weiß.

1 Külah, die phrygische Mütze und persische Tiare. Die Großen und Heersführer trugen dieselbe schon in den ältesten Zeiten gesenkt. Der König allein hatte das Vorrecht, sie gerade zu tragen.

2 Deri, das rein oder hochpersische, eigentlich die Hof- oder Pfortensprache von Der, Thüre. Sie erhielt diesen Namen, weil Behramgur aus der Dynastie der Sassaniden den Gebrauch desselben bey Hof, und in Staatsschriften durch ein besonderes Gesetz vorgeschrieben hatte.



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