Aus: Der Buchstabe Dal
CIX. (109)
Gestern sah ich, daß Engeln
In der Schenke saßen,
Adamslehmen zerrührten,
Und in Becher goßen. 1
Die Besitzer der höchsten
Reinigkeit und Herrschaft
Haben mit mir Betrunknen,
Becher angestoßen.
Nicht zu tragen vermochten
Himmeln Last der Liebe
Deßhalb wurde dies Loos mir
Närrischen gegeben.
Gott sey Dank, daß nun Friede
Zwischen mir und ihr ist!
Tanzend haben Huris
Wein des Dankes getrunken.
Soll ich mich nicht verirren,
Hundert tausendmale!
Durch ein einziges Körnlein
Ward einst Adam irre. 2
Du verzeihe dem Streite,
Zwey und siebzig Sekten, 3
Weil sie Wahrheit nicht kannten,
Fielen in den Irrthum.
Was von Kerzen uns lachet,
Ist nicht wahres Feuer,
Wahres Feuer ist jenes,
Das verzehrt die Mücke.
Liebe machet die Herzen,
Winkelsitzern blutig,
Wie das Maal, das die Wangen
Der Geliebten zieret.
Keiner hat noch Gedanken
Wie Hafis entschleiert,
Seit die Locken der Wortbraut 4
Sind gekräuselt worden.
1 Nach orientalischer Sage
rührten bei der Schöpfung Engel den rohen Stoff ab, und
goßen denselben dann in Formen.
2 Nach
derselben Sage war die Frucht, wodurch Adam das Paradies
verlor, ein schwarzes Korn; ein einziges Korn machte den
Vater des Menschen irre, wie sollte ich's nicht werden
vom schwarzen Korn des Wangenmaales.
3 Die
zwey und siebzig Ketzereien in der Kirche des Islams.
4 Die
Braut des Worts, die Schönheit der Rede; Schmuck
desselben ist ihr, was Schönen die Toilette.
Von Wort zu Wort: Niemand hat noch, wie Hafis, den
Schleier von den Wangen der Gedanken weggezogen, seitdem
man die Spitzen der Locken der Bräute des Wortes
gekämmt hat.
Die Haarkräuslerin spielt in der asiatischen
Bildersprache eine große Rolle; ihres Amtes ist es, die
junge Braut zu kämmen, zu baden, zu kleiden, zu salben,
und so mit erhöhten Reizen den umarmungen des
Bräutigams zuzuführen.
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