Aus: Der Buchstabe Dal
CLXV. (165)
Mein Körper ruht von stetem Gram nicht aus,
Von Schmerz wird immerfort mein Herz geschwächt.
Steigt ihrer Sehnsucht Dunst mir in das Aug',
So fällt die Fluth des Schmerzens d'raus herab.
Die gelben Wangen konnte ich nicht seh'n, 1
Vorsichtig hab' ich sie mit Blut gefärbt,
Damit wenn einst der Feind mir in die Nähe kommt,
Nichts Gelbes er auf meinen Wangen seh'.
Die böse Zeit, wo nur des Bösen etwas ist,
Das streicht sie mir wie einer Braut in's Aug'. 2
Sie hat mir, was ich sonst besaß, geraubt,
Nur meines Freundes Liebe bleibt mir stets.
Warum soll nicht die Seele weinend fleh'n,
Geduld nicht minder seyn, und mehr der Schmerz?
Die guten Stunden wurden zugezählt,
Doch Leiden schickt das Loos mir ohne Zahl.
Wann mir mein Freund so viel zu Leide thut,
Was soll ich mir erwarten denn vom Feind?
Wenn ich nicht weine, heißt's: er hat nichts noth,
Und weine ich, so heißt's: es ist umsonst;
Doch alles kommt daher, daß eine Thür
Sich aufthut, wenn die andere sich schließt.
1 Gelbe Wangen verrathen die
Schwere des Kummers und sich verzehrender Liebe; damit
meinem Feinde der Triumph nicht werde, sich meiner Leiden
zu freuen, habe ich sie mit Blut (der Rebe oder des
Herzens) gefärbet.
2 Die
Zeit streicht mir schwarzes Unglück in's Auge, wie man
der Braut schwarze Augenschminke einstreicht.
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