Aus: Der Buchstabe Schin
III. (3)
Es sinnt die Nachtigall, wie sie
Die Rose zur Freundinn mache,
Die Rose aber sinnt darauf
Die Nachtigall zu kränken.
Der Mörder eines Liebenden
Ist noch kein Herzensräuber,
Wer um die Dienerschaft sich sorgt
Ist wahrhaft ein Gebieter.
Es ist gerecht, daß der Rubin
Im Herzen blutig schäume,
Wenn rothe Glaskorallen ihn
Im Handel überwiegen. 1
Die Nachtigall hat den Gesang
Gelernet von der Rose,
Woher denn sonsten das Geschwätz
Das Kosen ihres Schnabels? 2
O Gott! gieb dem gereißten Freund,
Dem Hundert Karawanen
Der Herzen folgen, gieb ihm stets,
Wo er auch seyn mag, Wohlseyn!
Du, der vorbeigehst an dem Haus
Von dem geliebten Freunde,
Gieb Acht, daß an der Mauer du
Den Kopf dir nicht verschlagest.
O Herz! wie wohl dir das Gespräch
Des wahren Heils gefallen,
Verlaß' du doch die Liebe nicht
Denn sie ist hoch zu ehren.
Wenn die Begierde nicht die Ruh
In deiner Seele störet,
So findest du den Weg gewiß
Zu ihrem Angesichte.
Der Sofi, der im Rausche krumm
Die Mütze aufgesetzet,
Zerwühlet (trinkt er noch ein Paar
Von Gläsern) seinen Turban.
Durch deinen Anblick ward das Herz
Hafisens voll von Hoffnung,
Beleidige dasselbe nicht,
Es ward gar zart erzogen.
1 Der Rubin muß blutige Wellen
schlagen, wenn für Glaskorallen mehr gebothen wird als
für ihn, d.i. Männer von Verdienst zürnen billig wenn
ihnen Gecken vorgezogen werden.
2 Die
Rose nahm sich der Erziehung der Nachtigallen an und
lehrte sie so liebe, schöne Gesänge und Gasele, sonst
würde sie so stumm und liederlos wie andere Vögel
geblieben seyn.
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