Aus: Der Buchstabe Mim
XXIX. (29)
Gestern Abends schnitt durch Thränen
Ich den Weg des Schlafes ab,
Zeichnete in der Erinnrung
Auf die Thränen hin dein Bild.
Vor mir schwebten deine Brauen,
Und die Kutte war verbrannt,
Auf des Hochalters Gesundheit 1
Trank ich dann den Becher aus.
Dein Gesicht fieng mit Liebkosung
Meinem sich zu nahen an,
Und ich warf von fern dem Mondlicht
Deiner Wangen Küsse zu.
Auf dem Schenken lag mein Auge,
Auf der Laute lag mein Ohr,
Und so fiel dem Aug', dem Ohre
Diesesmal ein gutes Loos.
Bis der Morgen graute, schwebte,
Deines Bildes Truggestalt,
Vor dem leeren Lustgebäude
Meines schlafenlosen Aug's.
Als das Lied entfloß den Saiten,
Griff der Schenke um das Glas,
Von der Leyer floßen Lieder,
Aus dem Glase floß der Wein.
Jeden Vogel der Gedanken,
Der sich wiegte auf dem Ast,
Schoß ich mit den Lockenpfeilen
Deines schwarzen Haars herab.
Fröhlich floßen hin die Stunden,
Und zufrieden war Hafis,
Sieh! da warf ich auf das Leben,
Und der Freunde Glück das Loss.
1 Der Hochaltar der Brauen. Dort
nämlich, wo in unsern Kirchen der Hochaltar stehet, ist
in den Moscheen der Michrab, das ist eine in der
Wand angebrachte Nische, in welcher der Koran liegt, und
neben welcher zwey Wachsfackeln, deren Dicke in
Konstantinopel oft ins Ungeheure geht, aufgesteckt sind.
Der Hochaltar steht nach Mekka, wohin sich beim Gebete
alle Rechtgläubigen wenden müssen. Dieser Umstand und
der schön geformte Bogen der Nische geben das tertium
comparationis mit dem Bogen der Brauen, gegen welchen
sich alle Liebenden wenden.
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