Aus: Der Buchstabe Ta
XVIII. (18)
Deiner Narziß' schelmischer Schlaf, ist nicht umsonst;
Deines verwirrten Haars Geringel
Ist nicht umsonst.
Als ich dich sah milchigen Munds sagte ich schon
Diese Verschwendung deines Zuckers
Ist nicht umsonst.
Lippen und Mund sind ein verjüngender Quell;
Aber am Kinn der Brunn des Grübchens
Ist nicht umsonst.
Lange genug lebe vergnügt! Wenn ich gleich weiß
Pfeile der Wimpern auf dem Bogen
Sind nicht umsonst.
Kummer und Schmerz, Trennung und Gram,
lasset auf immer
Glaube mein Herz dieses Flehen und Klagen
Ist nicht umsonst.
Gestern entfloh'n ihrem Gemach, Lüftchen der Flur
Deine zerspaltne Brust o Rose!
Ist nicht umsonst.
Halte dem Volk Liebesgefühl, immer versteckt;
Augen Hafis! die Thränen weinen,
Sie sind nicht umsonst.
Diese Ode
hat abermals einen so hochfliegenden morgenländischen
Schwung, daß zu beßrer Verständlichkeit eine
Uebersetzung in Prosa der beste Kommentar seyn wird; die
Grund-Idee, welche durchs Ganze fortgeht ist: Alle deine
Reize sind dazu geschaffen, die Liebenden zu entflammen.
Dann beginnt der Dichter:
Nicht umsonst hast du so schöne halbgeschloßne Augen
wie Narzißen, nicht umsonst so schön gekräuselte
Haare.
Als du noch als ein Kind die Muttermilch sogst, wußte
ich schon mit welcher Süßigkeit du die Herzen einst an
dich ziehen würdest.
Deine Lippen sind zwar ein Quell des Lebens. Ungeachtet
deß ist in der Nähe derselben der Brunn des
Kinngrübchens nicht überflüßig.
Ich wünsche dir langes Leben, wiewohl ich weiß, daß du
mich mit deinen Wimpern tödten willst.
Ich leide viel, und klage nicht umsonst.
Gestern floh ein Lüftchen aus deinem Gemach über die
Flur, und gab der Rose Kunde von dir, die Rose riß sich
den Busen auf, aus Sehnsucht oder Eifersucht.
Immer Hafis magst du trachten deine Liebe zu verbergen,
deine Thränen werden dich verrathen.
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