Aus: Der Buchstabe Mim
LIV. (54)
Ich gähre zwar von Herzensgluth,
Wie eine Tonne Wein,
Daß ich versiegele den Mund,
Trink' Wein und schweige still.
Der Seele Vorsatz ist der Wunsch
Nach meiner Freundin Mund,
O sieh, wie meine Seele sich
Zu diesem Zweck bemühet.
Wie soll ich mich befreyen denn
Von Herzensleid und Gram,
Wenn mich mit jedem Augenblick
Das Haar in Fesseln legt.
Ich trage nicht mein Ordenskleid
Aus bloßem frommen Sinn,
Ich trage es vielmehr darum,
Weil Fehler es verbirgt.
Ich, der vom reinsten Rebensaft
Nur trinkt, was soll ich thun?
Was thun? wenn ich dem Wirthe nicht
Zu folgen Willens bin.
Bewahre Gott! daß ich vertrau'
Auf eigenes Verdienst,
Ich weiß nur, daß ich leere aus
Von Zeit zu Zeit ein Glas.
Ich hoffe, daß zum Trotz des Feinds
Am Tage des Gerichts
Der Herr aus Huld die Sündenlast
Nicht auf mich legen wird.
Mein Vater hat das Paradies
Zwey Körner werth geschätzt, 1
Man schelte nicht daher, wenn ich
Um eines es verspiel.
Wenn unser Sänger solch ein Lied
Zu seiner Weise wählt,
Wenn er Hafisens Lieder singt,
So komm ich ausser mir.
1 Nach der Ueberlieferung der
Morgenländer war die Frucht, um welche Adam das Paradies
verscherzte, nicht ein Apfel, sondern ein Paar
Getreidekörner. Da nun unser Vater Adam dasselbe nicht
höher geschätzt hat, als ein Paar Körner, warum soll
der Dichter es nicht um eines, nämlich das Mahl des
Geliebten, verspielen.
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