Mohammed Schemsed-din Hafis

(Übersetzung: Joseph von Hammer-Purgstall)


Aus: Der Buchstabe Ta

XXVI. (26)

Ihre Locken ziehen tausend
Herzen durch ein einzig Härchen,
Und zu tausend Mitteln bleibet
Nirgends mehr ein Ausgang offen.

Daß aus Hoffnung des Geruches
Jeder seine Seele opfre,
Löset sie zwar auf die Locken,
Aber hält doch Jeden ferne.

Weil der Vollmond meiner Schönen
Brauen trägt dem Neumond ähnlich,
Bald sich zeigt und bald verschwindet,
Bin zum Narren ich geworden.

Wein von mannigfachen Farben
Hat der Schenke eingeschenket,
Sieh' die seltenen Gemälde,
Die er wunderbar bezeichnet!

Was hat dieses zu bedeuten?
Hat vielleicht im Hals der Flasche 1
Sich das Rebenblut gestocket,
Weil sie sprudelt Glu, Glu, Glu!

Was für eine seltne Weise
Hat der Sänger angestimmet,
Daß die Frommen in Verzückung
Selbst ihr Ha und Hu vergessen! 2

Weise, welche das Benehmen
Dieses falschen Weltlaufs sahen,
Haben sich zurückgezogen,
Und kein Wörtchen mehr gesprochen.

Wer das Bittere der Liebe
Nicht genossen und Genuß wünscht,
Will das Pilgerkleid anziehen, 3
Ohne sich vorher zu waschen.

1 Die Flasche macht Glu, Glu, oder wie die persische Onomatopie es ausdrückt, Galgal, gleich einem Menschen, den etwas im Halse stecken geblieben.

2 Die Derwische schreyen in der Ekstase ihrer mystischen Tänze, Ha und Hu.

3 Das Iram oder Pilgerkleid für die Wallfahrt nach Mekka kann nur nach vorhergegangener gesetzlicher Reinigung angelegt werden.


zurück