Aus: Der Buchstabe Ja
XVI. (16) 1
Unkundiger, o höre mich,
Daß du bekehret werdest,
So lang den Weg du nicht betrittst,
Wirst du kein Wegweiser.
In Gegenwart des Liebenden,
Dort in der Wahrheit Schule
O Knabe, merke fein und gut,
Daß du einst Vater werdest.
Der Schlaf, das Essen und der Trank
Hat dich verführt vom Lieben,
Wenn du nicht issest und nicht schlafst,
Wirst du die Liebe finden.
Fällt in die Seele einst ein Strahl
Vom Licht der Liebe Gottes,
Bei Gott! ich weiß, du wirst alsdann
Weit schöner seyn als Sonnen.
Entferne deine Hand vom Erz,
Wie die erfahrnen Leute,
Daß du im Leben Alchymist
Und ganz zu Golde werdest.
Von deinem Fuße bis zum Kopf
Ist alles ein Strahl Gottes,
Sobald du ohne Fuß und Kopf
Im Dienste Gottes weilest.
Stürz' dich auf eine Zeit in's Meer
Und hege keinen Zweifel,
Denn aller sieben Meere Fluth
Wird dir kein Haar befeuchten.
Wenn Gottes Angesicht auf dich
Herab mit Milde blicket,
Wer zweifelt noch, daß du alsdann
Nicht ein Betrachter seyest.
Wird deines ganzen Wesens Bau
Vom Grunde aus zerstöret,
So glaube nicht, daß du auch ganz
Vom Grund aus wirst zerstöret.
Hafis! hast du in deinem Kopf
Die Hoffnung des Genusses,
So werde du zuvor zum Staub
Der Thüren der Betrachter.
1 Dieses Gasel gehört unter die
wenigen, deren reinen ungemischten mystischen Sinn wir
gerne eingestehen; Abgezogenheit vom Sinnengenusse leitet
auf den Weg der wahren Liebe Gottes. Ohne Fuß und Kopf
sich seinem Dienste weihn, heißt auf alles Irdische
Verzicht thun. Nur so kann der Adepte die Wasserprobe der
sieben Reinigungsmeere ohne Gefahr bestehen. Betrachtung
des Übersinnlichen führt auf die Lehre der
Unsterblichkeit; doch wer diesen höheren Genuß
anspricht, muß sich zuvor in Demuth vernichten. Dieß
ist ohngefähr der Faden der Ideen, die Hafis in diesem
Gasel durchführte.
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