Mohammed Schemsed-din Hafis

(Übersetzung: Joseph von Hammer-Purgstall)


Aus: Der Buchstabe Ta

XXIX. (29)

Schwebt dein Bild mir vor den Augen,
Was kümmert mich das Trinken?
"Sey gefaßt – so sprich zur Kanne –
"Denn die Schenke wird zerfallen." –

Ist gleich in dem Rebensafte
Selbst das Paradies enthalten,
Gießt ihn weg! es sind Scherbete,
Ohne Mädchen mir die Hölle.

Weh! die Freundinn ist entflohen,
Und in meiner Augen Thränen,
Sind die Formen Ihrer Schönheit
Zart auf Wasser hingemalet.

Wache auf mein Auge! wache!
Wer auf diesem Posten schlummert,
Ist von der Gefahr des Stromes 1
Keinen Augenblick gesichert.

Die Geliebte wollte ohne
Schleyer hier vorüberwallen,
Aber sie sah Nebenbuhler,
Deßhalb hat sie sich verschleyert.

Seit die Rose hat gesehen
Deines Wangenthaues Anmuth,
Sank, auf Eifersucht verbrennet,
Sie in Rosenwasser unter. 2

In dem Winkel meines Hirnes
Such' ich Rath und gute Lehren,
Denn du wirst darin von Cythern
Und von Lauten übertönet.

Was für eine hohe Straße
Ist die Straße deiner Liebe!
Denn der Ocean des Himmels
Ist nur Wasserschein dagegen! 3

Thäler grünen, Berge grünen,
Komm und laß uns an dem Wasser
Nicht mit leeren Händen sitzen,
Denn die Zeit zerrinnt wie Wasser.

Dein Gesicht hat in dem Herzen
Hundert Lichter angezündet,
Obgleich (das ist eben selten)
Hundert Schleyer es verhüllen.

O du Flammenkorn der Herzen,
Ohne deiner Wangen Schimmer
Ist mein Herz, das an dem Feuer
Tanzte, längst in Staub verbrennet.

Immer sey Hafis betrunken,
Immer koß' er liebeäugelnd,
Manche wunderliche Streiche
Ziemen in der Zeit der Jugend.

1 Des Thränenstromes

2 Die Eifersucht über die Anmuth deiner feuchten Wangen hat der Rose Tropfen ausgepreßt, und diese sind das Rosenwasser.

3 Sirab. Der wie Wasser glänzende Dunst der in Persiens und Arabiens Wüsten in den heißesten Tagen so oft die durstigen Karavanen täuschet. Die Franzosen nennen denselben mirage.



zurück