Mohammed Schemsed-din Hafis

(Übersetzung: Joseph von Hammer-Purgstall)


Aus: Der Buchstabe Ja

XXV. (25)

Wahrlich wenn bei mir die Macht
Ueber meine Seele wäre,
Weiß ich, daß sie ein Geschenk
Für die Freunde wäre.

Wenn mein Herz nicht an ihr Haar
Angefesselt wäre,
Wär' es möglich, daß ich denn
Hier beständig wäre.

Kömmst du doch zur Thür herein
Wie ein Strahl des Lichtes,
Gerne säh' ichs, daß mein Aug'
Dir gehorsam wäre.

Meines Liebchens Wangen sind
Meines Himmels Sonnen,
O daß nur ein Stäubchen Huld 1
In dem Herzen wäre.

Selbst im Schlaf seh' ich sie nicht,
Wie kann ich genießen!
Dieses ward mir einmal nicht,
Wenn doch jenes wäre!

Die Cypresse würde laut
Ihren Wuchs verkünden,
Wenn sie wie die Lilie
Freyer Zunge wäre. 2

Hätte sich Hafisens Schmerz
Je verrathen können,
Wenn des Morgens Vogel nicht
Nebenbuhler wäre.

1 Ein Sonnenstäubchen nämlich.

2 Die Lilie ist unter den Blumen, wie die Cypresse unter den Bäumen, eine freye Person; jene hat nicht Scheu mit der scharfen Zunge der Blätter reine Wahrheit zu sprechen, diese, frey von irdischen Gelüsten, senkt ihre Zweige nicht zur Erde, sondern trägt sie hoch zum Himmel empor.


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