Aus: Der Buchstabe Dal
XI. (11)
Einen Blick
ins Glas Dschemschid's, 1
Bist im Stand zu machen,
Wenn den Staub der Schenk' zur Schmink',
Bist im Stand zu machen.
Bleibe niemals ohne Wein,
Niemals ohne Sänger,
Allen Gram der Welt bist du,
Fern im Stand zu machen.
Deines Wuchses Rose wird,
Dann den Schleier lüften,
Wenn du gleich dem Ost den Dienst
Bist im Stand zu machen.
Setze vor den Fuß zur Reis',
Auf dem Weg der Liebe,
Viel Gewinnes auf der Reis'
Bist im Stand zu machen.
Komm! Denn alle Ruhe, Lust,
Ordnung in Geschäften,
Bist durch einen Mann von Kopf,
Du im Stand zu machen.
Keinen Schleier hat der Freund,
Laß den Wegstaub niedersinken,
Daß du einen Blick auf ihn
Seyst im Stand zu machen.
Das Gebäude deines Ichs
Willst du nie verlassen,
Bist zur Wahrheit einen Schritt,
Nie im Stand zu machen.
Bist du o mein Herz bekannt,
Mit dem Licht der Reinheit?
Dann bist auf den Kopf Verzicht
Du im Stand zu machen.
Foderst du des Glases Rand,
Und der Freundinn Lippen,
Fodre nicht, daß du noch was
Seyst im Stand zu machen.
Hörst du diesen Rath Hafis,
Wiß', daß du zum Wege
Der Enthaltsamkeit den Schritt
Bist im Stand zu machen.
1 Der Becher Dschems, oder das
Glas Dschemschids, von dem schon mehr, als einmal, die Rede war, hatte
die Eigenschaft, dem, der hineinsah, alle Geheimnisse des Staates zu
enthüllen. In der mystischen Sprache der Scheihe und Sofis ist das Glas
Dschems das Herz des Betrachtenden, dem sich die Geheimnisse der inneren
Welt aufthun, dem Dichter aber ist es nur das Weinglas. Wie aber
Schatzgräber, um das unter der Erde verborgene Gold zu schauen, ihre
Augen mit einer magischen Augensalbe bestreichen müssen, so muß, wer die
Geheimnisse des Bechers klar sehen will, den Staub der Schenke zur
Augenschminke machen. Das Glas Dschemschids hatte sieben Linien oder
Abtheilungen vom Boden bis zum Rande. Je höher der Blick hinaufstieg,
desto größer die Erkenntniß, je voller das Glas, desto heller die
Erleuchtung.
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