Aus: Der Buchstabe Dal
XLVI. (46)
O Schenke,
höre, wie die Sage
Von Cedern, Rosen, Tulpen geht,
Du sieh darauf, daß sie nicht ohne
Dreyfacher Becher Spende geht.
Du trinke Wein, die Braut der Erde
Hat ihre Schönheit nun erreicht,
Jetzt sind die Zeiten, wo die Tugend
Der Kupplerinn im Schwunge geht.
Des Indus Papageyen werden
Nun alle Zuckerfreßer seyn,
Vom persischen berühmten Kandel,
Der reißend nach Bengalen geht.
Gieb Acht auf des Gesanges Bahnen,
Du siehst, was schnell fortschreiten heißt,
Ein Kind in einer Nacht erzeuget, 1
Das einen Weg von Jahren geht.
Betrachte dieses Schelmenauge,
Das die Andächtigen betrügt,
Siehst du, wie hinter Karawanen
Der Zauberer von ferne geht.
Mein Liebchen träuft von Schweißestropfen,
Und wanket holden Schritts einher,
So daß von Wangen der Jasminen
In Form des Thau's der Angstschweis geht.
Wirst du gelockt von Schmeicheleien
Der Welt verlaß nicht deinen Weg,
Weil diese alte Räuberhexe
Aus auf Betrügereien geht.
Sey nicht Samir in deinen Werken, 2
Er, der aus Eselshaftigkeit
Vom Führer Moses sich entfernet,
Und nach dem goldnen Kalbe geht.
Des Frühlings Schmeichellüfte wehen
Her aus des Schahes Rosenbeet,
Indeß statt Wein ein Tropfen Thaues
Hinein in Tulpenkelche geht.
Schweig nicht, Hafis, von dem Vergnügen,
Des Hofs des Schahs Gajaßeddin
Du weißt, daß das Geschäft am besten
Durch Singen dir von statten geht.
1 Willst du lernen, wie man seinen Weg
machen kann, betrachte den Gesang. Ein Gedicht, das Werk einer einzigen
begeisterungsvollen Nacht, lebt durch Aeonen.
2 Samir nach morgenländischer
Sage, bald einer der Zauberer, die es mit ihren Taschenspielerkünsten
vor Pharao gegen Moses aufnehmen wollten; bald wie hier einer der
Rädelsführer, welche in Moses Abwesenheit das goldne Kalb durch Zauberey
verfertigten.
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