Aus: Der Buchstabe Elif
VIII. (8)
Nähme mein Herz in die Hand der schöne Knabe aus
Schiras,
Gäb ich fürs Maal Samarkand und Buchara. 1
Reiche mir Schenke den Wein, im Himmel suchst du
vergebens
Roknabad's Blumengestad, und Mosella's. 2
Wehe! die Schelmen mit schwarzem Aug und süsser Gebärde
Rauben dem Herz die Geduld, wie die Türken.
Unvollkommene Liebe bedarf nicht die Schönheit des
Freundes,
Schöne Gesichter bedürfen nicht Schminke.
Bleibe beym Sänger, beim Glas, erforsch nicht verborgene
Dinge
Keiner noch hat es gelöset, wird's lösen.
Jusufs berauschende Schönheit erklärt den Zauber
der Liebe,
Welcher zerrissen den Flor bei Sulicha. 3
Höre den Rath, denn wiß': ein wohlerzogener Jüngling
Schätzt wie die Seele die Worte der Alten.
Böses hast du gesprochen. Verziehn! Wohl ward es
gesprochen
Bitteres ziemet den zuckrichten Lippen.
Lieder hast du gesungen Hafis, und Perlen gebohret.
Werth, daß Pleiaden der Himmel verstreue. 4
1 Die Freigebigkeit des Dichters,
mit welcher er die beyden Städte Samarkand und Buchara
verschenken will, hätte ihm übel bekommen können. Denn
seine Feinde hatten den Vers benützt, ihn bei Timur zu
verschwärzen, daß er die zwei herrlichsten Städte
seines Reichs so gar gering achte, und zum Preis eines
Schönheitsmaales herabwürdige. Timur stellte Hafisen
hierüber auch wirklich zur Rede, der sich durch
Geistesgegenwart und durch eine unmerkliche Veränderung
des Verses sehr ehrenvoll aus der Schlinge zog. Der Vers
heißt im Persischen:
Bachschem Samarkand u Buchara.
Geben wollt' ich Samarkand und Buchara.
Ists wahr? fragte Timur, indem er den Vers
wiederhohlte, daß du dich unterstanden, meine
herrlichsten Städte so zu lästern?
Verzeihe Schah, antwortete der Dichter, man hat dich
falsch berichtet: der Vers heißt:
Bachschem du ser kandi buchara
Geben wollt' ich zwey Zuckerbrode von Buchara.
Timur zufrieden mit der Rechtfertigung, belohnte den
guten Einfall.
2 Roknabad
ein Spaziergang vom Fürsten Rokneddin, längs den
Ufern eines kleinen Flusses bey Schiras angelegt. Mosella
ein öffentlicher Gebetort in dem Rosenhaine von Schiras,
wo Hafis auch begraben liegt. Im Paradies, meint Hafis,
wirst du weder das eine noch das andere finden.
3 Sulicha
oder Suleicha, Potifars Gemahlin in den
orientalischen Romanen, die in des ägyptischen Josephs
Geschichte nichts als die unwiderstehbare Macht der
Schönheit des Mannes aufs Herz des Weibes darzustellen
suchen.
4 Hier
vergleicht Hafis seine Verse mit Perlen, die er
durchbohret, um sie an goldnen Schnur des Liedes
anzureihen, auch die Pleiaden sind Perlen, Perlen des
Himmels, aber höchstens gut genug um auf die Perlen des
Liedes ausgestreut zu werden.
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