Aus: Der Buchstabe Ta
LXXI. (71)
O Schönheit aus des Himmels Kreis,
Wer lüftet deinen Schleier!
O Vogel aus dem Paradies, 1
Wer giebt dir Korn und Wasser?
Der Schlaf entfloh aus meinem Aug'
Vom brennenden Gedanken,
In wessen Arm, an wessen Brust
Des Nachts du liegst und ruhest.
Nie drang mein Klagen und Geschrey
Hinauf zu deinem Ohre,
Daraus Geliebter seh' ich wohl,
Wie hoch du bist erhaben!
Du fragst nicht viel um den Derwisch,
Deßwegen fürcht' ich wahrlich,
Du denkest nur auf heute stets,
Und nicht auf gute Werke.
Pallast, der du entflammst das Herz,
Du Aufenthalt der Freundschaft,
Von dem Verfalle soll der Herr
Auf immer dich bewahren!
Von dieser Wüste führet weit
Der Wasserschein den Wandrer;
Gieb acht, daß dich Gespenster nicht 2
Darinnen irre führen.
Verfehlet hat der Wimper Pfeil
Mein Herz, worauf er zielte,
Eröffne mir, was denkest du,
Nun weiter noch zu machen.
Mein Herz! mit welchem Angesicht
Wirst du im Alter wandeln,
O sieh! du hast der Jugend Zeit
Blos in dem Wind vergeudet.
Dein trunknes Auge hat am Weg
Die Liebenden gemordet,
Wer dächte wohl von deinem Wein,
Daß er so mördrisch wäre.
Hafis ist ja kein neuer Sklav,
Der vor dem Herren fliehet,
Sey gnädig, kehr' zu mir zurück,
Dein Zorn hat mich zerstöret.
1 O süßer Paradiesvogel, wer gab
dir das schwarze Korn des Males und das weisse
Schönheitswasser des Gesichtes. Das Wasser des Gesichtes
heißt den Morgenländern der Glanz und Schimmer
desselben; so heißt es in den Chattischeri's und
in den Proklamationen, welche der Großherr an seine
Truppen richtet: Euer Säbel sey scharf, und glänzend
Euer Gesicht, d.i. glänzend von Schönheitswasser, wie
das der Seligen, die sich durch den heiligen Krieg das
Paradies erwarben.
2 Eule
und Diwe arabische und persische Zaunen und Satyren,
welche die Wüsten bevölkern.
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