Aus: Der Buchstabe Ta
LXXIII. (73)
Außer deiner Schwelle hab' ich
Keinen Zufluchtsort,
Außer deiner Thüre leg' ich
Nirgends hin mein Haupt.
Wenn der Feind den Säbel ziehet,
Werf' ich weg den Schild,
Keinen andern Säbel kenn' ich
Als das Wehgeschrey.
Warum soll ich von der Schenke
Wenden mein Gesicht?
Auf der ganzen Erde giebt es
Keinen beßern Weg.
Wirft in meinen Lebensspeicher
Einen Brand das Loos,
Sage zu der Flamme, brenne,
Ich verliere nichts.
Ich bin ein getreuer Sklave
Des Narzissenaugs,
Das im Rausch des Uebermuthes
Keinen angeschaut.
Ueberall seh' ich die Straße
Von Gefahr umstrick't,
Außer deinen Locken weiß ich
Keinen Zufluchtsort.
Herr der Schönheit! reite langsam
Mit gehalt'nem Zaum',
Denn es ist am Wege Keiner,
Der nicht Klagen hat.
Thue Keinem was zu Leide,
Thu' sonst, was du willst,
Außer dieser giebt es keine
Sünde im Gesetz.
Unrecht liegt mit offnen Flügeln
Auf der ganzen Stadt,
Wo ist dann des Wuchses Bogen
Wo der Pfeil des Augs? 1
Gieb den Herzensschatz Hafisens
Nicht dem Haar und Maal;
Denn nicht alle Schwarze wissen
Sorglich umzugehen. 2
1 Wo ist denn der Rächer des
unterdrückten Rechtes! Die Ungerechtigkeit liegt wie ein
ungeheurer Raubvogel mit ausgebreiteten Flügeln auf der
Stadt. Wo ist Pfeil und Bogen, dieselbe zu verscheuchen?
Wo der Pfeil der Wimpern meines Geliebten? Wo der Bogen
seiner Brauen?
2 Haar
und Maal sind zwey Mohren; wie man weiß, sind an den
Höfen des Morgenlandes die Schatzhüter gewöhnlich
schwarze Eunuchen, welche das Kostbarste, nämlich die
Kleinodien des Reichs und des Harems bewahren. Hafis
warnet sich selbst, seinen Herzensschatz nicht aufs
Geradewohl den beiden Schwarzen, dem Haar und Maal,
anzuvertrauen, weil nicht alle Schwarze damit sorglich
umzugehen wissen.
|