Aus: Der Buchstabe Ta
LXXXVIII. (88)
Traurig ist mein Herz über die Welt und was darinn ist,
Denn in meinem Sinn wohnet mein Freund, und sonsten
Keiner,
Wenn vom Rosenbeet' deines Genusses Duft mir wehet,
Kann mein Herz sich nicht halten vor Lust, wie
Rosenknospen,
Wenn ich armer Thor rathen dir sollt', im Weg der Liebe,
Hieße dieses ja leeres Geschwätz, mit Thoren halten.
Frommen sage du, sitzet allein, und schmäl't mit
nichten,
Weil ich zum Altar habe gewählt des Freundes Brauen.
Götzentempel und Kaaba ganz von gleichem Werthe, 1
Gegen welchen Ort gewendet du bist, Er ist zugegen.
Bart und Haar und Brau'n machen noch nicht den Kalender
aus, 2
Denn des Kalender's Rechnung sey treu bei einem
Haare.
Leichtes Ding ist's, sich über ein Haar hinauszusetzen,
Doch Kalendere sind, die, wie Hafis, den Kopf
aussetzen. 3
1 Wohin ich mich immer wenden mag,
gegen Mekka oder gegen einen Götzentempel, überall
erscheint mir das Bild des Geliebten.
2 Die Kalendere
sind wenigstens dem Namen nach durch unsere
Redoutenmasken sehr wohl bekannt; eine Art von
Derwischen. Nicht der lange Bart und die großen Brauen
machen den Kalender aus, sondern ein reiner
tadelloser Wandel; die Rechnung seines Thuns und Lassens
muß bei einem Haare richtig seyn, so daß kein Fehler
statt findet.
3 Sich
über ein Haar (des Geliebten) hinauszusetzen, ist eben
kein so großes Tugendbestreben; ein wahrer Kalender
muß, wie Hafis, nicht auf ein Haar, sondern auf seinen
ganzen Kopf gerne Verzicht thun.
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