Mohammed Schemsed-din Hafis

(Übersetzung: Joseph von Hammer-Purgstall)


Aus: Der Buchstabe Ta

LXXXIX. (89)

Wer getraut vor dem Freund ein Wort von Cedern zu sprechen?
Denn die Ceder stahl Formen und Haltung von ihm.

Ich erlaube mir nicht an den Wuchs der Cypreße zu denken,
Freylich ist sie hoch, aber auch selbstisch dabei. 1

Von dem Maal und dem Haar hat der Ostwind dem Moschus erzählet,
Daher kommt es, daß er liebliche Düfte verstreut.

Eine Linie ist auf seinem Monde zu schauen,
Keiner weiß, obs die Brau'n oder der Neumond es sey.

Tausend Seelen verdient der Liebende, der, wie den Ballen,
Hinwirft seinen Kopf unter die Locken des Freundes.

Suchst du den Wunsch des Herzens aus seinem Mund zu erfüllen,
Laufe nicht, wie Hafis, hinter dem taumelnden Kopf.

1 Was die Dichter und Hafis selbst der Cypreße sonst zum Lobe ausspricht, nämlich ihr freies, hohes, von allem irdischen Staube weit erhabenes, zurückgezogenes Wesen wird ihr hier zum Tadel angerechnet; daß sie so hoch aufschießt, eh' sie Aeste treibt, daß diese Aeste nicht zur Erde gesenkt sind, wie die der übrigen Bäume, sondern gerade wie der Stamm zum Himmel emporstreben, ist zwar sehr schön, meint Hafis, aber doch auch ein Zeichen von Selbstgenügsamkeit, die alle Verbindung und Berührung mit dem mütterlichen Boden verschmähend gar wohl den Vorwurf der Selbstsucht verdient. Hierinn steht nun die Cypreße weit hinter dem Freunde, der des eben so hohen Wuchses wegen gelobt, aber nicht der Selbstsucht beschuldigt zu werden verdient. Hafis betrachtet hier nur die Kehrseite der Medaille, denn insgemein wird die Cypreße nur gepriesen als das Symbol der Freiheit und Unabhängigkeit, so wie die Palme als das Symbol der Großmuth und Freigebigkeit. So sagt Saadi:
Sey wie Palmen, gütig, oder sey
Wie Cypreßen, hoch und frey.



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