Aus: Buchstabe Te
84.
Durch den Schimmer deiner Wange
Wird ein jeder Blick erhellt,
Durch den Staub an deiner Pforte
Jedes Aug' von Dank beseelt.
Wer dir in das Antlitz blicket,
Fühlet Liebe:1 und fürwahr,
Es bewegt in jedem Haupte
Sich die Lust nach deinem Haar.
Wundert's dich, wenn meine Thräne
Sich aus Gram geröthet hat?
Jeder, der Verrath geübet,
Schämt sich der begang'nen That.2
Meines Auges Wasser schuldet
Dank dem Staube deiner Thür:3
Hundertfachen Dank auch zollet
Jeder Thürstaub ihm dafür.
Dass sich nimmer dir ein Stäubchen
Setze auf des Kleides Saum,
Hat der Strom aus meinem Auge
Überfluthet jeden Raum.
Wer ein Zärtling ist, der trete
Keine Liebesreise an:
Jede Gattung von Gefahren
Trifft man stets auf jener Bahn.
Dass vom Abend deiner Locke
Er nicht schwätze überall,
Bin ich mit dem Ost zu hadern
Jeden Morgen in dem Fall.
Schlimm zwar ist's, wenn ein Geheimniss
Durch des Vorhang's Hülle bricht;
Dennoch kömmt im Kreis der Zecher
Jeder Vorfall an das Licht.
Mein Geburtsstern nur, der böse,
Kränkt mich, weil sonst Jedermann,
Vom Geschicke mehr begünstigt,
Deinem Dorfe nahen kann.
Weil vor deiner süssen Lippe
Er sich schämt, o Honigquell!
Taucht nun jedes Stückchen Zucker
Sich in Schweiss und Wasser schnell.4
Nicht nur mir, dem Herzberaubten,
Blutet stets durch dich das Herz;
Füllt mit Blut doch alle Herzen
Deiner Liebe Gram und Schmerz.
In der Wüste deiner Liebe
Schrumpft der Leu zum Fuchse ein;
Weh der Strasse, wo Gefahren
Stets sich an Gefahren reih'n!
Dass ich lebe, zeigt ein Name,
Ach, und zeigt ein Zeichen nur!
Bleibt ja sonst von meinem Leben
Nicht die allerkleinste Spur.
Missvergnügt machst du Hafisen:
Ausser dieser Kleinigkeit
Wohnt in dir vom Haupt zum Fusse
Jede Art von Trefflichkeit.
1 Der persische Ausdruck:
Liebe fühlen, verliebt sein, heisst wörtlich: ein Besitzer des
Blickes, ein Einsichtsvoller sein; so dass der zweite Sinn dieser
Stelle auch sein könnte: Wer dir in das Antlitz blicket, ist ein
einsichtsvoller, gescheiter Mann.
2 So auch die bluthige Thräne, die das Geheimniss meiner Liebe verrieth.
3 Weil der Staub deiner Thür huldvoll meine Thräne eingesogen hat.
4 D.h.: Dass der Zucker dazu gebraucht wird, in Flüssigkeiten getaucht
zu werden, geschieht darum, weil er beschämt von deiner ihn an
Süssigkeit übertreffenden Lippe sich zu verbergen sucht.
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