Mohammed Schemsed-din Hafis

(Übersetzung: Vincenz Ritter von Rosenzweig-Schwannau)


Aus: Buchstabe Te

88.

Es stimmt zur Trauer mich die Welt
Und was in ihr mag sein;

Das Inn're meines Herzens fasst
Nur meinen Freund allein.

Wenn aus der Liebe Rosenflur
Ein Duft mich angeweht,

So springt mein Herz wie Knospen auf,
Von Wonne aufgebläht.

Wollt' ich, der Narr, ein Rather dir
Auf Liebespfaden sein,

Das Mährchen wär's vom närr'schen Mann,
Vom Kruge und vom Stein.1

Zum Frömmler sprich: »O spare mir
Den Tadel, denn fürwahr

Der Augenbrauen Wölbung nur
Erscheint mir als Altar.«

Die Kába und des Weines Haus,
Sie gleichen sich gar sehr,

Denn, wo du hin in beiden blick'st,
Allüberall ist Er.

Um Kalender zu sein, genügt
Bart, Haar und Braue nicht:

Der Kalender berechnet stets
Gar haarklein seine Pflicht.

Entsagen einem Härchen, fällt
Dem Kalender nicht schwer:2

Wer, wie Hafis, dem Haupt entsagt,
Nur der ist Kalender.
 

1 Dieses bezieht sich auf Folgendes: Hamideddin aus Balch, der Verfasser der persischen Makamen (Ständchen), soll einst dem Dichter Enweri durch den Narren Hussein einen mit einem beliebten Getränke gefüllten Krug nebst einem Briefe gesendet haben. Der Narr soll unterwegs mit dem Kruge an einen Stein angestossen und ihn zerbrochen haben, worauf er dem Enweri nebst dem Briefe den Hals und die Handhabe des Kruges einhändigte. Als Enweri, nach durchlesenem Brief, von Hussein das Getränk begehrte, überreichte ihm dieser die Handhabe. "Doch wo ist das Getränk?" fragte der Dichter. "Ein Stein nahm es mir weg," entgegnete der Narr. "Und weshalb überbrachtest du die Hadhabe?" fragte Enweri weiter. "Um meine Aussage zu bekräftigen," war des Narren Antwort.

2 Siehe die 3. Anmerkung zum 39. Ghasel aus dem Buchstaben Te.

[3 Die Kalendere sind ein im Orient übelberüchtigter Orden von Bettelmönchen, die sich als Schmarotzer herumtreiben und den Leuten Heiligenlegenden erzählen. Ihre gewöhnliche Kleidung ist ein blaues Hemd, und sie scheeren sich Bart, Kopfhaare und Augenbrauen.]

 

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