Aus: Buchstabe Dal
10.
Der Rebe Tochter that, o Freunde,
Auf die Verborgenheit Verzicht;
Sie selber war beim Vogt gewesen,
That also Unerlaubtes nicht.
Sie trat hervor aus ihrer Hülle,
- Wisch't ihr die Tropfen Schweisses ab! -
Damit sie den Genossen künde,
Warum sie sich denn weg begab.
Der Augenblick ist nun gekommen,
An sich zu fesseln ganz und gar
Ein Mädchen, das sich so berauschet
Und einst so keusch gewesen war.1
Und wieder liess der Liebe Sänger
- Verkünd' es, Herz, mit Freudigkeit! -
Die Weise, die berauscht, erklingen
Und heilte so die Trunkenheit.
Was Wunder, wenn Sein sanfter Odem
Des Herzens Rose mir erschliesst?
Sur's Rosenblatte2 dankt der Sprosser
Die hohe Lust, die er geniesst.
Nicht siebenfaches Wasser3 tilget,
Nicht hundertfachen Feuers Macht
Die Flecken, die das Nass der Traube
In eines Ssofi Kleid gebracht.
Lass nie die Demuth aus den Händen,
Hafis, denn deiner Neider Schaar
Verlor im eitlen Hochmuthsdünkel
Geld, Ehre, Herz und Glauben gar.
1 Dieses Ghasel dichtete
Hafis bei Gelegenheit des vom Könige Schedscha dem Ilchaniden
aufgehobenen Weinverbotes, das früher unter der Regentschaft der Fürstin
Dilschad Khatun so strenge gehandhabt wurde, dass die Übertreter
desselben der Todesstrafe verfielen.
2 Die Rose Sur's, aus welcher das Rosenöl bereitet wird, ist eine
dunkelrothe, vielblättrige und wohlduftende, im Orte Sur in Persien
häufig gepflegte Rose. Der Name des Ortes ging auf die Farbe seiner
Rosen über, so dass die dunkelrothe Rose überhaupt die Rose Sur's heisst.
3 Nach dem schafi'itischen Ritus muss ein auf die Erde gefallener
beschmutzt gewordener Gegenstand siebenmal in reinem Wasser gewaschen
werden.
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