Mohammed Schemsed-din Hafis

(Übersetzung: Vincenz Ritter von Rosenzweig-Schwannau)


Aus: Buchstabe Dal

11.

Dschem's geheimnissvollen Becher
Kann dein Blick erst dann erreichen,

Wenn du Schenkenstaub als Salbe
Dir in's Auge konntest streichen.

Nimmer mögest du hienieden
Ohne Wein und Sänger bleiben:

Kannst du doch durch ihre Töne1
Dir des Herzens Gram vertreiben.

Deiner Wünsche holde Rose
Wird erst dann den Schleier heben,

Wenn du dich, wie Morgenlüfte,
Konntest ihrem Dienst ergeben.

Nach der Liebe schönem Ziele
Magst du rüstig vorwärts schreiten,

Kannst du doch durch diese Reise
Vielen Nutzen dir bereiten.

Komm, denn den Genuss der Ruhe
Und die Ordnung in den Dingen

Kannst durch einsichtsvoller Männer
Segenspende du erringen.

Des geliebten Freundes2 Schönheit
Deckt kein Vorhang und kein Schleier:

Lass nur erst den Staub sich setzen,
Schauen kannst du ihn dann freier.

Der du nie aus dem Palaste
Deines Ich's herausgegangen!

Kannst du in das Dorf der Wahrheit
Jemals hoffen zu gelangen?

Bettelei an Schenkenthüren
Ist ein wahrer Stein der Weisen;

Staub kannst du in Gold verwandeln,
Machst du solche Bettlerreisen.

Herz, wenn du das Licht der Reinheit
Sorgsam stets in dir getragen,

 Kannst du, ähnlich einer Kerze,
Lächelnd deinem Haupt' entsagen;

Doch, so lang' des Liebling's Lippe
Und das Glas die Lust gewähren,

Kannst ein and'res Werk zu üben
Nimmer du die Hoffnung nähren.

Hast du diesem Königsrathe,
O Hafis, dein Ohr geliehen,

Kannst du auf des Tugendordens
Königsstrasse weiter ziehen.
 

1 Durch das Gegurgel oder Gekoller des Weines, wenn er aus der Flasche rinnt, und durch jenes des Sängers.

2 D.i. Gottes.

 

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