Mohammed Schemsed-din Hafis

(Übersetzung: Vincenz Ritter von Rosenzweig-Schwannau)


Aus: Buchstabe Dal

33.

Nicht genügt, um schön zu heissen,
Lockenschmuck und feine Lende:

Diene Jenem nur als Sklave,
Der damit auch Huld1 verbände.

Wahr ist's, dass der Huris Kosen
Und der Peris lieblich scheine:

Aber Schönheit hat und Anmuth
Doch nur Jener, den ich meine.

Rose, die du freundlich lächelst,
Komm an meines Auges Quelle,

Das, in Hoffnung dich zu schauen,
Überfliesst von mancher Welle.

Deine krumme Braue windet,
Kunstgewandt im Pfeilentsenden,

Jedem, der den Bogen führet,
Sieggewohnt ihn aus den Händen.

Sieh, mein Wort wirkt auf die Herzen,
Seit du hold es angenommen:

Ja, es kann das Wort der Liebe
Nie um seine Wirkung kommen.

Auf der Liebe Bahn wird Keiner
Eingeweiht in sich'res Wissen:

Nach der Einsicht Maass wird Jeder
Einem Wahn gehorchen müssen.

Prahle nicht mit Wunderthaten,
Weilt bei dir ein Trinkgeselle:

Ihre Zeit hat jede Rede,
Jeder Spruch hat seine Stelle.

Nimmer singt ein kluger Vogel
Auf der Wiese frohe Lieder:

Denn dem holden Lenze folget
Auf dem Fuss die Herbstzeit wieder.

Kann ein Sterblicher hienieden
Dir der Schönheit Ball entwenden?

 Selbst dem Sonnenreiter2 fiele
Hier der Zügel aus den Händen.

Lass den Gegner nicht mit Räthseln
Dem Hafis zu Leibe rücken:

Auch mein Rohr hat eine Zunge
Und versteht sich auszudrücken.
 

1 An, das Wort des Originals, heisst Huld, Anmuth, das certo non sò chè.

2 Die Sonne wird hier unter dem Bilde eines Gaules gedacht, dessen Reiter bei'm Anblick des Geliebten die Zügel aus den Händen fallen. In der Sprache der Ascetiker heisst Sonnenreiter, Chorschid suwar, jener Mystiker, welcher bereits in die höheren geistigen Welten vorgedrungen ist. Diese Benennung weist, unmittelbar auf die aus den Mythrasmonumenten bekannten Sonnenreiter, deren eigentliche Bedeutung noch unbekannt ist. Dem Mystiker ist das Herz die Sonne, und somit wäre der Weise, der die Begierden seines Herzens wie einen Gaul zu zähmen versteht, der Sonnenreiter.

 

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