Mohammed Schemsed-din Hafis

(Übersetzung: Vincenz Ritter von Rosenzweig-Schwannau)


Aus: Buchstabe Dal

57.

Eine Lichtgestalt wie deine
Ward dem Monde nicht beschert

Und vor dir hat eine Rose
Keines Halmes nied'ren Werth.

Deiner Augenbrauen Winkel
Wählt' ich mir zum Seelenhaus:

Einen schöner'n Winkel suchet
Selbst ein Kaiser sich nicht aus.

Wird wohl je auf deine Wange
Wirken meines Herzens Rauch?1

Wie du weisst, erträgt ein Spiegel
Nimmer eines Seufzers Hauch.

Deines Haares Übergriffe2
Treffen wohl nicht mich allein:

Denn, wem brannte dieser Schwarze
Maale in die Brust nicht ein?

Jenes Auge schwarzen Herzens
- Und ein solches hast ja du -

Wirft - ich sah es - den Bekannten
Keinen Blick des Trostes zu.

Du, o Schenkenjünger, reiche
Mir ein vollgefülltes Glas,3

Auf das Wohlsein eines Scheïches,
Der ein Kloster nie besass.4

Trinke Blut und dulde schweigend,
Kann's doch jenes zarte Herz

Nicht ertragen, dass ein Armer
Klage in zu lautem Schmerz.

Sieh die Frechheit der Narzisse,
Die vor dir zu blühen wagt:

Ihrem aufgeriss'nen Auge
Ist die Sittsamkeit versagt.

Mit dem Blut des Herzens wasche
Sich den Ärmel Jedermann,

 Der den Weg zu dieser Schwelle
Nimmermehr betreten kann.

Wenn Hafis dich angebetet,
Geh' mit ihm nicht in's Gericht:

Wer zum Ketzer wird aus Liebe,
O mein Götze, sündigt nicht.
 

1 D.i.: Mein Seufzer.

2 Siehe die 1. Anmerkung zum 23. Ghasel aus dem Buchstaben Dal.

[1 Das hier durch Übergriffe übersetzte Wort Tethawwül hat, nebst dieser Bedeutung, noch jene von Verlängerung, durch welchen zweiten Sinn hier auf das lange Haar des geliebten Gegenstandes angespielt wird. Der Dichter meint, die Veilchen tragen nur deshalb die blaue Trauerfarbe - bekanntlich ist blau bei den Persern, wie schwarz bei den Arabern die Farbe der Trauer - weil du, an ihren Beeten vorüber wandelnd, sie mit der Fülle deines langen Haares überdecktest und somit, indem du sie gleichsam tyrannisch unterdrücktest, trauern machst.]

3 Wörtlich: Ein schweres Ruthl. - Ruthl, ein Flüssigkeitsmaass von bald grösserem, bald kleinerem Gehalte, je nach Verschiedenheit der Länder.

4 D.h.: Des Scheich's Mehmed oder Mahmud Attar, zu dessen Jüngern Hafis gehörte. Jener war aber nie eigentlich Vorsteher eines Derwischklosters gewesen, sondern lebte von Gewürzkrämerei. Siehe die 4. Anmerkung zum 25. Ghasel aus dem Buchstaben Dal.
Das Wort Scheich hat vier verschiedene Bedeutungen: erstens heisst es ein Greis, zweitens ein Vorsteher eines Derwischklosters, drittens ein Prediger in Moscheen und viertens ein Lehrer, von welchem gelehrte Männer Unterricht empfingen; in diesem letzten Sinne ist es hier genommen.


 

 

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