Mohammed Schemsed-din Hafis

(Übersetzung: Vincenz Ritter von Rosenzweig-Schwannau)


Aus: Buchstabe Dal

63.

Der Eingeweihte eines Herzens
Blieb in des Freundes Heiligthum;

Doch wem des Herzens Kunde fehlte,
Blieb nur des Läugners schnöder Ruhm.

Trat je mein Herz aus seiner Hülle,1
So rechn' es mir als Schimpf nicht an:

Gott sei gepriesen, dass es nimmer
Verhüllet blieb durch eitlen Wahn.

Ein Mönchskleid hatt' ich; hundert Fehler
Verbarg es sorglich jedem Blick;

Beim Wein und Sänger ward's verpfändet:
Der Gürtel aber blieb zurück.2

Die Ssofis lösten ihre Kutten
Bald wieder von der Rede aus;

Das Mönchskleid nur, das ich getragen,
Blieb liegen in des Rausches Haus.

Das allerschönste Angedenken,
Das auf dem ganzen Erdenball,

Dem kreisenden, zu Theil geworden,
Blieb des verliebten Wortes Schall.

Die Kuttenträger zogen trunken
Vorbei; vorbei ist, was gescheh'n;

Mein Treiben nur blieb aufgezeichnet
Am Eingang jedes Marktes steh'n.

Mein Herz allein nur ausgenommen,
Das liebt von und in Ewigkeit,

Hört' ich noch nie von Jemand sprechen,
Der thätig blieb in aller Zeit.

Wenn ich Rubinenwein erhalten
Von dem Krystalle jener Hand,

Blieb er als Sehnsuchtswasser hangen
Am perlenvollen Augenrand.

So mächtig staunten China's Götzen,
Dich gar so wunderschön zu seh'n,

Dass überall davon die Kunde
Auf Wänden blieb und Thüren steh'n.3

Aus Sehnsucht, deinem Aug' zu gleichen,
Erkrankte die Narzisse gar;

Sie konnte nicht so schmachtend blicken:
Drum blieb sie krank für immerdar.4

Einst auf dem Schauplatz Seines Haares
Begab das Herz Hafisens sich:

Doch, im Begriffe heim zu kehren,
Blieb es gefesselt ewiglich.
 

1 D.h.: Verrieth es seine Liebe.

2 Als verrätherischer Beweis nämlich, dass ich, wie Christen und Juden, die den Gürtel (Sonnar) tragen, Wein trinke. Siehe die 2. Anmerkung zum 50. Ghasel aus dem Buchstaben Te.

[2 D.h.: Frieden dem süssen Kalendere Scheich Ssan'an, der seine Liebe mit den Pflichten seines Glaubens zu vereinigen verstand. - An dem Christengürtel (Sonnar), welcher der heiligen, zwölfknötigen Schneu (Kesti), dem Weihsymbol der Parsen wie der Brahmanen, nachgebildet scheint, betete nämlich Scheich Ssa'an seinen muhammedanischen Rosenkranz (Tesbih), der, aus 99 Korallen bestehend, die 99 schönen Eigenschaften Gottes versinnlichen soll. Der Gürtel Sonnar wurde im Jahre 235 der Hidschra (849) vom abbassidischen Chalifen Mutewekkil eingeführt, als Unterscheidungszeichen der Christen (und Juden) von den Muhammedanern.]

3 Chinesische Formen gelten für die schönsten im Morgenlande. Hafis meint, die auf Wänden und über Thüren gemalten chinesischen Gestalten seien in ihrem regungslosen Zustande gleichsam eine Kunde, ein Beweis von dem Erstaunen, in das sie die Schönheit des geliebten Gegenstandes versetzte.

4 Die Narzisse wird mit einem Auge verglichen, und umgekehrt. Ein kranker Blick heisst ein schmachtender.

 

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