Mohammed Schemsed-din Hafis

(Übersetzung: Vincenz Ritter von Rosenzweig-Schwannau)


Aus: Buchstabe Dal

73.

Erinn're dich, wie sich verstohlen
Dein holder Blick mir zugewandt,

Und klar auf meinem Angesichte
Der Schriftzug deiner Liebe stand;

Erinn're dich, wie mich dein Auge
Getödtet durch des Vorwurf's Macht,

Und deine Lippe, Zucker kauend,
Das Wunder 'Îsa's dann vollbracht;

Erinn're dich des trauten Kreises,
Wo wir genossen Morgenwein:

Der Freund nur war und ich zugegen,
Und mit uns war nur Gott allein;

Erinn're dich, wie um die Mütze
Mein Mond gebunden sich ein Band

Und wie - ein Bote, weltdurchmessend -
Der Neumond ihm am Bügel stand.1

 Erinn're dich, wie ich die Schenke,
Als Trunk'ner mir zum Sitz erwählt

Und wie ich endlich dort gefunden,
Was heute in Moscheen fehlt;

Erinn're dich, wie laut zu lachen
Der Onix des Pocales2 schien,

Und wir Geschichten uns erzählten,
Ich und dein reizender Rubin;

Erinn're dich, wie deine Wange
Das Licht entflammte meiner Lust,

Und ungescheut ich es umkreiste
Als Falter mit verbrannter Brust;3

Erinn're dich, wie beim Gelage,
Das sonst der Anstand überwacht,

Der Morgenwein es war gewesen,
Der wie ein Trunk'ner aufgelacht;

Erinn're dich, wie deine Sorge
Stets an den rechten Platz verwies

 Die Schnüre ungebohrter Perlen,
Die Dichterschätze des Hafis.
 

1 Der Steigbügel der Orientalen wird seiner Form wegen häufig dem Neumonde verglichen.

2 D.h.: Der rothe Wein im Pocale.

3 Wortspiel mit Naperwa, ungescheut, und perwane, Falter, dessen Liebe zum Lichte eine jener schönen Allegorien ist, die mehrere persische und türkische Dichter zu eigenen Gedichten begeisterte.

 

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