Mohammed Schemsed-din Hafis

(Übersetzung: Vincenz Ritter von Rosenzweig-Schwannau)


Aus: Buchstabe Dal

85.

Heimlich Wein und Lust geniessen,
Was es sei? ein lock'res Thun;

In der Zecher Reihe trat ich:
Mag gescheh'n was immer nun!

Löse deines Herzens Knoten,
Sorglos um des Himmels Lauf;

Einen solchen Knoten löste
Noch kein Geometer auf.

Wenn die Zeit dem Wechsel fröhnet,
So erstaune drüber nicht,

Da das Rad1 von Millionen
Ähnlicher Geschichten spricht.

Nur mit Ehrfurcht nimm die Becher
In die Hand, denn sie besteh'n

Aus den Schädeln von drei Fürsten:
Keïkobad, Dschemschid, Behmen.2

 Wo Kjawus und Kjeï3 nun weilen,
Wer gibt Kunde wohl davon?

Wer kann sagen, wie die Winde
Fortgeführt Dschemschiden's Thron?

Weil Ferhad einst für die Lippen
Der Schirin so heiss geglüht,

Seh' ich noch, wie eine Tulpe
Seines Auges Blut' entblüht.

Komm, o komm, dass auf Momente
Wüst ich werde durch den Wein,

Denn ein Schatz in dieser Wüste4
Wird vielleicht zum Lohne mein.

Wie das Schicksal treulos walte,
Hat die Tulpe wohl erkannt:

Hält sie doch durch's ganze Leben
Einen Becher in der Hand.

Die Erlaubniss zu betreten,
Einer fernen Reise Pfad

 Wehret mir Mossella's Erde
Und der Quell von Roknabad.5

Vielen Gram schuf meiner Seele
Seine Liebe; immerhin!

Des Geschickes böses Auge6
Treffe dennoch nimmer ihn!

Nimm, so wie Hafis, den Becher
Nur beim Harfenklang zur Hand,

Da man alle Herzensfreude
Nur an Seidenfäden band.7
 

1 Das Himmelsrad nämlich, d.i. das Schicksal.

2 Namen dreier mächtigen Könige des alten Persiens aus der Dynastie der Keijaniden. Hier für Monarchen überhaupt genommen.

3 Gleichfalls Namen zweier grossen Könige des alten Persiens aus dem Geschlechte der Keijaniden.

4 D.i.: In dieser Welt.

5 Siehe die 3. und 4. Anmerkung zum 8. Ghasel aus dem Buchstaben Elif.

[3 Roknabad, eine Quelle unweit Schiras.
4 Mossella, ein öffentlicher Betort in der Rosenau von Schiras. Hier ist Hafisens Begräbnisstätte.]

6 Das Cattiv' occhio der Italiener.

7 Nämlich an die Saiten der Harfe, überhaupt an Musik; oder da alle irdische Freude so zerreissbar (vergänglich) ist.

 

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