Mohammed Schemsed-din Hafis

(Übersetzung: Vincenz Ritter von Rosenzweig-Schwannau)


Aus: Buchstabe Te

1.

Bei des Meisters Seele schwör' ich's
Und beim alten Recht und Bunde:

Wünsche für dein Glück gesellen
Sich zu mir in früh'ster Stunde;

Meine Thräne, gegen welche
Noë's Fluth im Nachtheil bliebe,

Wäscht von meines Busens Brette
Nie das Bild mir deiner Liebe.

Handle denn mit mir und kaufe
Dieses Herz, zerstückt von Schmerzen:

Selbst zerstückt, erreicht's an Werthe
Hunderttausend ganze Herzen.

Schilt mich nicht, bin ich betrunken,
Denn der Lenker süsser Triebe

Wies mich schon am ersten Tage
 An des Weingenusses Liebe.1

Suche Wahrheit! Deinem Inner'n
Wird die Sonne dann entsteigen:

Weil der erste Morgen lüget,
Sind ihm schwarze Wangen eigen.2

Herz, verzweifle nicht: des Freundes
Huld ist ohne Maass und Ende;

Nun du mit der Liebe prahltest,
Opfre denn dein Haupt behende!

Du nur hiessest mich auf Bergen
Irren und im Wüstensande,

Und noch lockerst du erbarmend
Nicht des Kettengürtels Bande.3

Tadelt den Assaf die Ämse,
Kann man ihr nur Beifall zollen:

Denn, das Siegel Dschem's verlierend,
Hat er es nicht suchen wollen.4

Traure nicht, Hafis, noch fordre
 Dass die Schönen treu dir seien:

Ist es wohl die Schuld des Gartens,
Will dies Kräutchen nicht gedeihen?
 

1 D.h.: Gott hat schon am Schöpfungstage des Menschen, wo er die Bestimmungen eines jeden Wesens, auch meinen Hang zum Trunke entschieden.

2 Der erste Morgen oder der lügende Morgen heisst das Halbdunkel der ersten, schwachen Morgendämmerung, so wie der wahre Morgen jene Helle heisst, auf die unmittelbar der Aufgang der Sonne folgt.

3 Hafis bedient sich hier des Wortes Nithak, Gürtel, weil er eben von Bergen sprach, deren halbe Höhe oder Mitte im Persischen deren Gürtel heisst, so wie Silsile, Kette, auch eine Gebirgskette bedeutet.

4 Assaf, der Wesir Salomon's, verlor einst das ihm von diesem Könige anvertraute Siegel, das hier das Siegel Dschem's genannt wird, weil dieser alte persische Monarch es von Salomon geerbt hatte. Ein Diw hatte diesen Siegel entfremdet und durch längere Zeit unter Salomon's Namen die Völker beherrscht. Die Ameise die, als einst alle Thiere dem Könige Salomo Huldigungsgeschenke brachten, nicht ohne ein Geschenk erscheinen wollte, brachte ihm in ihrem Unvermögen einen Grashalm und tadelte die Nachlässigkeit Assaf's, der sich so wenig um das Reichssiegel bekümmert hatte. - Nach den Commentatoren versteht Hafis hier unter der Ameise den Lippenflaum und unter dem verlorenen Siegel Salomon's den kleinen, gleichsam nicht zu findenden Mund des Geliebten.

 

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