Mohammed Schemsed-din Hafis

(Übersetzung: Vincenz Ritter von Rosenzweig-Schwannau)


Aus: Buchstabe Dal

87.

Spülte mir den Herzenskummer
Aus dem Sinne nicht der Wein,

Furcht vor dem Geschicke risse
Mir den Bau des Lebens ein;

Würfe nicht beim Liebesrausche
Seinen Anker der Verstand,

Brächt' aus diesem Unglückswirbel
Nimmer er das Schiff an's Land

Weh! Es treibt sein Spiel der Himmel
Insgeheim mit Jedermann;

Doch es gab bisher noch Keinen,
Der's dem Schlauen abgewann.

Desshalb will mein Herz, das schwache,
Auf der Wiese sich ergeh'n,

Dass sie mich vom Tode rette
Durch des Ostes sanftes Weh'n.1

Durch ein Dunkel führt die Strasse:
Weilet denn kein Chiser dort?

Denn das Feuer der Entbehrung
Führt mir sonst das Wasser2 fort.

Arzt der Liebe bin ich. - Trinke
Wein, denn dies Electuar

Schaffet Ruhe und verscheuchet
Alle Sorgen immerdar.

Schon verbrennt Hafis, und Niemand
Hat es noch dem Freund gesagt:

Ob vielleicht um Gotteswillen
Es ein Hauch des Westes wagt?
 

1 Wörtlich: Durch des Ostes Krankheit, d.i. durch dessen schwaches, sanftes Wehen. Der Sinn ist: Mein krankes Herz sehnt sich nach der Wiese, wo mir ein sanfter Osthauch den Duft des Geliebten zuwehen und mich dadurch vom Tode retten dürfte.

2 Das Wasser des Gesichts nämlich, d.i. wie bereits bemerkt wurde, die Ehre. Der Sinn ist: Im Feuer der Entbehrung brennend, begehe ich vielleicht etwas, das mich meiner Ehre beraubt.

 

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