Mohammed Schemsed-din Hafis

(Übersetzung: Vincenz Ritter von Rosenzweig-Schwannau)


Aus: Buchstabe Dal

90.

Schön ist die Rose; - aber
Nichts Schön'res kennt die Welt,

Als einen vollen Becher,
Wenn deine Hand ihn hält.

Die Zeit benützend, trinke
Du Wein im Rosenhain:

Wird doch in nächster Woche
Die Rose nicht mehr sein.

Geniesse, o geniesse
Was froh die Zeit dir beut:

Nicht immer liegen Perlen
In Muscheln, so wie heut.

Es ist der Pfad der Liebe
Ein wunderbarer Pfad,

Wo stolz das Haupt erhebet
Wer, ach, kein Haupt mehr hat.

 Vertilge alle Blätter,1
Wenn du mein Schulfreund heisst,

Weil in der Kunst der Liebe
Kein Buch dich unterweist.

Vernimm was ich dir sage:
Ein Liebchen wähle dir,

Das nicht die eig'nen Reize
Geknüpft an Schmuck und Zier.

O komm in meinen Keller,
Und trinke, alter Mann,

Wein, wie ihn dir die Quelle
Kjewser2 nicht bieten kann.

Du, der du mit Rubinen
Gefüllt das gold'ne Glas,

Erbarme dich des Mannes,
Der niemals Gold besass!

O Herr, gib mir vom Weine,
Der keinen Rausch erzeugt

 Und der, gepaart mit Schmerzen,
Mir nicht zu Kopfe steigt!

Ich habe einen Götzen:
Sein Leib ist silberrein

Und in Aser's3 Pagode
Mag wohl kein Gleicher sein.

Aus ganzer Seele diene
Oweïs, dem Sultan4, ich,

Obwohl des treuen Knechtes
Er nicht erinnert sich;

Ich schwör's bei seiner Krone,
Der weiten Erde Zier,

Das Diadem der Sonne,
Weicht an Gefunkel ihr!

Hafisens Lied zu tadeln
Ist Jener nur geneigt,

In dessen eig'nem Wesen
Sich nichts von Anmuth zeigt.
 

1 Wörtlich: Wasche die Blätter aus.

2 Kjewser, der Name einer Quelle im achten Paradiese.

3 Aser, Abraham's Vater, ein so eifriger Götzendiener, dass er häufig But tirasch, d.i. Götzenschnitzer genannt wird.

4 Oweis Ghajaseddin, insgemein Scheich Oweis genannt, ein Fürst aus dem Stamme der Ilchaniden und Sohn des Fürsten Hassan, war, trotz des Vorwurfes, den ihm Hafis hier macht, sein grosser Gönner. Der Dichter Selman Sawedschi besang ihn häufig.

 

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