Mohammed Schemsed-din Hafis

(Übersetzung: Vincenz Ritter von Rosenzweig-Schwannau)


Aus: Buchstabe Dal

92.

Ein belebender Messias1
Naht, o Herz, drum freue dich!

Denn sein süsser Hauch verkündet,
Jemand Theurer näh're sich.

Seufz' und klage nicht, wenn Trennung
Gram dir schafft: denn gestern Nacht

Sprach das Loos2, das ich befragte:
»Dir ein Retter wird gebracht.«

Jener Brand in Eïmen's Thale3
Bringt nicht mir allein Gewinn:

In der Hoffnung eines Funkens
Kam ja Moses selbst dahin.

Mit dem Gau, den du bewohnest,
Steht ein Jeder in Verkehr

Und es hat daselbst ein Jeder
Ein besonderes Begehr.

Wohl hat Niemand noch erfahren
Des Geliebten Aufenthalt;

Doch so viel ist unbezweifelt:
Dass dort eine Glocke schallt.4

Lass mich nur Ein Schlückchen machen:
Schenkt ein edler Mann den Wein,

O dann tritt ein Jeder Zecher
Nur mit einer Bitte ein.

Hat mein Freund im Sinn zu fragen,
Ob der Kranke etwas braucht,

O so sprich, er möge eilen,
Eh' er noch ganz ausgehaucht.

Wollt Euch freundlich doch erkunden
Nach dem Sprosser dieser Flur:

Denn ich höre aus dem Käfich
Einen Ton der Klage nur.

Sich Hafisens Herz erbeuten
Will der Freund; o Freunde, sagt,

 Ob er nicht dem Falken gleiche,
Der nach einer Mücke jagt?
 

1 Unter dem Messias (Jesus), der Todte zum Leben weckte, ist hier der Frühling verstanden.

2 Das Loos, Fal, heisst eigentlich das Stechen der Verse aus irgend einer Gedichtsammlung, wo dann die gestochenen Verse als Antwort auf die an das Schicksal gestellte Frage angesehen werden.

3 Das Thal Eimen, wo Moses die Wunderruthe fand, ist dasselbe, in welchem ihm der Herr im brennenden Dornbusche erschien.

4 D.i.: Dass er ein Christ sei. Die zum Gebete rufende Glocke ist dem Orientalen das Symbol der Christenheit. Hafis will sagen, dass sein Liebling ein Christ sei, oder doch ein solcher, der es mit den Verboten des Islam's eben nicht sehr genau nimmt.

 

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