Mohammed Schemsed-din Hafis

(Übersetzung: Vincenz Ritter von Rosenzweig-Schwannau)


Aus: Buchstabe Dal

97.

Nicht Jeder, der sein Antlitz schmücket,
Versteht's sich Liebreiz zu verleih'n;

Nicht Jeder, der da Spiegel formet,
Versteht's ein Iskender1 zu sein.

Nicht Jeder, der mit schiefer Mütze
Sich stolz und trotzig niedersetzt,

Versteht es Kronen auch zu tragen,
Die Herrschaft wahrend unverletzt;

Hier handelt's sich um tausend Dinge
So dünn wie Haare und so fein:

Nicht Jeder, der das Haupt sich scheret,
Versteht's ein Kalender2 zu sein.

Gar löblich wär' es, wenn du lerntest,
Was Treue und was Glaube sei:

Versteht ja doch der nächste Beste,
Was Härte sei und Tyrannei.

Als Punkt, um den der Blick sich drehet,
Erkor dein holdes Maal ich mir:

Denn was die selt'ne Perle gelte
Versteht ja nur der Juwelier.3

Den Bettlern ähnlich, diene nimmer
Um einen ausbedung'nen Lohn:

Denn wie man Diener gut behandle
Versteht der Freund von selber schon.

Versenkt in meines Auges Wasser,
Was thu' ich, das mich retten kann,

Da Jeder nicht die Kunst verstehet
Zu schwimmen in dem Ocean?

Ein Sklave bin ich jenes Zechers,
Der alles Heil den Flammen weiht

Und sich auf Alchimie verstehet,
Deckt ihn gleich nur ein Bettlerkleid.4

Mein armes Herz, das liebestolle,
Verspielte ich und sah nicht ein,

 Dass auch ein Menschenkind verstehe
Wie Peris anmuthsvoll zu sein.

Wer da zum König ward der Schönen
Durch Wuchs und holdes Angesicht,

Macht eine Welt sich unterthänig,
Versteht er erst was Recht und Pflicht.

Hafisens liebliche Gedichte
Hat zu beachten nie verschmäht,

Wer einen zarten Sinn besitzet
Und das Reinpersische versteht.
 

1 D.i.: Alexander. Siehe die 2. Anmerkung zum 6. Ghasel aus dem Buchstaben Elif.

[2 Alexander's wunderbarer Spiegel, eines der sieben Reichskleinode der voradamitischen Salomone, ein Talisman, um dessen Besitz die alten Könige Persiens die Züge in's Gebirge Kaf unternahmen und so manches Abenteuer mit Diwen bestanden, zeigte seinem Besitzer alles Verborgene des Himmels und der Erde, so wie alle Anschläge seines Gegners Dara (Darius), die er demnach zu vereiteln im Stande war. Ressam, ein Maler in Dienste Schah Behramgur's, soll der Künstler gewesen sein, der diesen Wunderspiegel verfertigte]

2 Siehe die 3. Anmerkung zum 39. Ghasel aus dem Buchstaben Te.

[3 Die Kalendere sind ein im Orient übelberüchtigter Orden von Bettelmönchen, die sich als Schmarotzer herumtreiben und den Leuten Heiligenlegenden erzählen. Ihre gewöhnliche Kleidung ist ein blaues Hemd, und sie scheeren sich Bart, Kopfhaare und Augenbrauen.]

3 D.i.: Ich, der ich Perlen und Rubinen weine.

4 Unter jenem Zecher ist Scheich Mehmed oder Mahmud Attar zu verstehen, und unter der Alchimie seine Genügsamkeit. Siehe die 4. Anmerkung zum 25. Ghasel aus dem Buchstaben Dal.

[4 Die gleichgefärbten Trinker, d.i. die Männer, deren Handlungen mit ihren Worten eins sind, sind die Jünger Scheich Mehmed oder Mahmud Attar's aus Schiras, zu denen auch Hafis gehörte. Er war nie eigentlicher Vorstand eines Derwischklosters gewesen, sondern handelte mit Gewürzwaaren, daher sein Beiname Attar, d.i. Gewürzkrämer. Wegen der Übereinstimmung seiner Handlungen mit seiner Denkweise hiess er Jekrenk, d.i. der Einfärbige und wegen seiner Freundlichkeit Gülrenk, d.i. der Rosenfarbene. Seine Anhänger waren in stetem Streite mit den blaue Kleider tragenden Jüngern des Scheich Hassan Asrakpusch, d.i. des Blaugekleideten; die Blauen sind die Betrachtenden, die Rosenfarbenen die Geniessenden. Die Schaar im blauen Kleide mit dem schwarzen (bösen) Herzen sind die falschen Ssofis, die Jünger des Scheich Hassan Asrakpusch.]

5 Das Rein- oder Hochpersische, Deri, von Der, Pforte, dessen Gebrauch der Sassanide Behramgjur bei Hof und in Staatsschriften vorgeschrieben hatte.

 

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